Gefährliche Risse – auch in deutschen AKW

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Foto: Julian Rettig
Dieser Text stammt aus dem Jahr 2022 und beschreibt eine Situation vor dem Atomausstieg am 15. April 2023.

Untersuchungen im AKW Neckarwestheim‑2 haben im Juni 2022 zum sechsten Mal in Folge Korrosionsschäden in den Dampferzeugern aufgedeckt. An den extrem dünnwandigen, fingerdicken Rohren dort (für Technikfreaks: an den Dampferzeugerheizrohren) bilden sich Risse, die unvorhersehbar schnell wachsen können. Durch die Rohre fließt das radioaktive, heiße und unter sehr hohem Druck stehende Wasser aus dem Reaktorkern. Reaktorsicherheitsexperten warnen, dass schon ein Bruch nur eines einzigen der mehr als 16.000 dünnwandigen Rohre einen Störfall bis hin zur Kernschmelze auslösen könnte.

Gleiche Rissart wie in Frankreich

Bei den Rissen handelt es sich um die gefürchtete Spannungsrisskorrosion – dieselbe Rissart, wegen der aktuell zahlreiche französische AKW stillliegen. Während in Frankreich aber sehr dickwandige Rohre eines nur bei schweren Störfällen benötigten Notsystems betroffen sind, greifen die Risse in den deutschen AKW extrem dünnwandige Rohre an der verwundbarsten Stelle des Reaktorkreislaufs selbst an. Die französische Atomaufsicht hat allen AKW, in denen solche Risse nachgewiesen wurden, den Weiterbetrieb bis zu einer vollständigen Reparatur untersagt. Die deutsche Atomaufsicht hingegen lässt alle AKW weiterlaufen, Risse hin oder her.

Rissgefahr an allen drei AKW

Allein im AKW Neckarwestheim‑2 wurden inzwischen an mehr als 350 Rohren zum Teil tiefgehende und lange Risse nachgewiesen; jedes Jahr kommen weitere hinzu. Akuter Rissverdacht besteht allerdings auch in den AKW Emsland und Isar‑2. Beide Reaktoren sind typgleich mit Neckarwestheim‑2, alle drei haben Rohre aus demselben Material verbaut. Bisher verweigern die Betreiber dort umfassende Kontrollen der Rohre.

AKW Neckarwestheim: Betriebsgenehmigung vor Gericht

Seit 2018 wurden im AKW Neckarwestheim‑2 mehr als 350 Risse entdeckt. Die systematische Ursache der Risse ist bis heute nicht behoben. Trotz aller Gegenmaßnahmen hat sich die Zahl der Rissneubildungen in den letzten Jahren jeweils mehr als verdoppelt.

Zwei staatliche Gutachten bestätigen die Gefahr von unvorhersehbaren Rohrbrüchen aufgrund von Rissen. Ein ehemaliger Bundesatomaufseher bestätigt die akute Gefahr eines nicht mehr beherrschbaren Störfalls, der sich bis zur Kernschmelze entwickeln kann. Das grüne Umweltminsterium in Baden-Württemberg lässt den Reaktor dennoch seit Jahren immer wieder aufs Neue ans Netz – zuletzt im Juni 2022 sogar mit einer unbekannten Anzahl unentdeckter Risse. Unterstützt von .ausgestrahlt und dem Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar haben zwei Anwohner*innen Klage gegen die baden-württenbergische Atomaufsicht erhoben. Sie verlangen eine vorläufige Stilllegung des Reaktors, bis die Rissursache vollständig beseitigt ist. Der VGH Mannheim wird diese Klage am 14.12.2022 öffentlich verhandeln.

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AKW Emsland: Risskontrollen nach Rissfunden abgebrochen

Im AKW Emsland wurden sowohl 2019 als auch 2020 bei stichprobenartigen Kontrollen Korrosionen und Risse an den Dampferzeugerheizrohren nachgewiesen. Weitere Kontrollen lehnten RWE und die niedersächsische Atomaufsicht mit der Begründung ab, dass keine weiteren Risse mehr zu erwarten seien.

Diese Annahme ist, wie .ausgestrahlt und der BUND Niedersachsen Icon detailliert aufgezeigt haben, nicht haltbar. Denn die Risskontrollen im AKW Emsland umfassten erstens nur eine Stichprobe der 16.000 Rohre. Zweitens beschränkten sich diese Kontrollen auf die jeweils „heißen“ Enden der Rohre („hot leg“) und nahmen die „kalten“ Rohrenden („cold leg“) komplett aus – weil zum damaligen Zeitpunkt im AKW Neckarwestheim‑2 nur am „heißen“ Rohrende Risse entdeckt worden waren. Inzwischen treten die Risse im AKW Neckarwestheim‑2 allerdings sogar vornehmlich am „kalten“ Rohrende auf. Eine sofortige, vollständige Kontrolle aller Dampferzeugerheizrohre im AKW Emsland an beiden Rohrenden ist deshalb unabdingbar.

Der neue niedersächsische Umweltminister Christian Meyer hat für Ende Januar 2023 eine Sicherheitsüberprüfung des AKW Emsland angekündigt. .ausgestrahlt fordert, dass diese auch umfassende Rissprüfungen mit einschließen muss.

AKW Isar‑2: Nur sporadische Kontrollen

Auch im AKW Isar‑2 ist nach Aussage der bayerischen Atomaufsicht nur eine kleine Stichprobe der Rohre untersucht worden und davon nur wiederum ein kleiner Teil mit einer Sonde, welche die Risse in diesen Rohrabschnitten auch wirklich erkennen kann.

.ausgestrahlt hat gemeinsam mit Anwohner*innen beim Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz beantragt, das Kraftwerk vorläufig stillzulegen, bis umfassende Risskontrollen die Rissfreiheit des Reaktors zweifelsfrei nachgewiesen haben.

Risse-Spiel

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Die Risse im AKW Neckarwestheim‑2 können unvorhersehbar und schnell wachsen – eine ständige Gefahr. EnBW hat die Ursache auch nach drei Jahren noch nicht behoben. Gelingt es Dir, alle Risse rechtzeitig zu entdecken?

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