„Wir sind doch nicht euer Atomabfall-Kübel“

07.03.2016 | Jan Becker

Ende Januar haben streng geheime Atomtransporte aus Deutschland und der Schweiz in die USA stattgefunden. Langsam verdichten sich hochbrisante Informationen, nachdem eine Fracht in Nordenham auf ein Schiff verladen wurde. Es soll sich dabei um Material für den Bau von Atombomben gehandelt haben!

Atomschiff "Oceanic Pintail"
Foto: srswatch.org
"Oceanic Pintail": Atombombenstoff an Bord

Die Medien-Meldungen vom 25. und 26. Januar ließen viele Fragen offen: Drei Atomtransporter rollten auf Autobahnen quer durch Deutschland, begleitet von schwerbewaffneten Polizeieinheiten. Das Erscheinungsbild der Einsatzkräfte war untypisch für Uran- oder Brennelemente-Transporte: zu sehen waren Angehörige von Spezialeinheiten mit Maschinenpistolen. Laut Medienberichten kamen zwei der drei Lkw aus der Schweiz, einer aus Deutschland. Mehr war nicht bekannt.

Während die Schweiz nun Details zu der brisanten Fracht veröffentlicht, herrscht in Deutschland weiter Schweigen. Das Bundesamt für Strahlenschutz, zuständig für die Genehmigung solcher Transporte, lässt die Spalte ”Absenderdaten“ bis heute leer. Als Fracht wird "unbestrahlter MOX" angegeben (Mischoxid, geläufig für Brennelemente die Uran und Plutonium enthalten).

BfS: Genehmigung von Kernbrennstoffstransporten; hier: PU-Transport Ende Januar 2016
BfS: Genehmigung von Kernbrennstoffstransporten; hier: PU-Transport Ende Januar

Mehr erfährt man aus der Schweiz: Demnach habe es sich um zwei Lkw gehandelt, die rund 20 Kilogramm des Ultragifts Plutonium geladen hatten. Es stammt aus einer Zeit, als die Schweiz die Herstellung von eigenen Atomwaffen plante. Seit den 60er-Jahren sei es auf dem Areal des Paul Scherrer Instituts (PSI) in Villigen „heimlich“ eingelagert gewesen, berichtet Stefan Füglister, Atomspezialist von Greenpeace. Es stammt aus wiederaufgearbeiteten Brennstäben des von 1960 bis 1977 betriebenen Forschungsreaktors Diorit. Die Brennstäbe wurden zwischen 1966 und 1973 in Belgien und Frankreich wiederaufgearbeitet und das daraus gewonnene Plutonium in die Schweiz zurückgeschickt. Laut Greenpeace-Berechnungen könnten mit 20 Kilogramm Plutonium vier Atombomben hergestellt werden. Die Schweiz sei also 50 Jahre lang im Besitz von Atombomben-Material gewesen – andere Länder „wären dafür sanktioniert worden“, so Füglister.

Kritik aus den USA

Anti-Atom-AktivistInnen in den USA schlagen nun Alarm. Sie hatten schon die Ankunft des Schiffes „Oceanic Pintail“ Mitte Februar begleitet und Fotos veröffentlicht.

„Wir sind nicht euer Atomabfallkübel. Wir wollen hier keinen Nuklearmüll, der unter dem Deckmantel von Non-Proliferation angeliefert wird“, schimpft Tom Clements, Direktor der Umweltschutzorganisation „Savannah River Site Watch“. „Woher stammt das 'Recht' der Schweiz, ihr Plutonium bei uns zu deponieren?“

Die US-Nuklearsicherheitsbehörde NNSA hat mit der Ankunft des Plutoniums vergangene Woche die Schweiz als „globalen Leader in Sachen Non-Proliferation gefeiert“. Hintergrund der Transporte sind internationale Abkommen zur Abrüstung. Das Material wird nun auf der militärischen „Savannah River Site“ im Bundesstaat South Carolina gelagert, wo sich neben mehreren Forschungsreaktoren auch eine MOX-Fabrik befindet. Dort kann aus dem Plutonium der umstrittene MOX-Brennstoff für Atomkraftwerke hergestellt werden. So würde das gelieferte Plutonium mit dazu beitragen, dass Atommeiler länger in Betrieb bleiben können. Laut Anti-Atom-AktivistInnen sei die weitere Verwendung des Plutoniums aber unklar.

Weitere Transporte aus Deutschland geplant

Die „Savannah River Site“ könnte künftig erneut Empfänger von deutschem Atommüll werden. Diskutiert wird der Export von rund einer Millionen abgebrannter Brennelemente aus den stillgelegten Atomkraftwerken AVR Jülich und THTR Hamm-Uentrop. Die etwa tennisballgroßen Kugeln bestehen aus einem Gemisch von Grafit, Uran und Thorium sowie jede Menge hochradioaktiver Spaltprodukte, die sich beim Einsatz in den AKW gebildet haben. .ausgestrahlt fordert, die Exportpläne umgehend fallen zu lassen.

weiterlesen:

  • Streng geheimer Atomtransport durch Deutschland gerollt
    27.01.2016 - Schwer bewacht, abgeschirmt und erfolgreich geheim gehalten hat ein Atomtransport quer durch Deutschland stattgefunden. In Nordenham sind Lkw auf ein Schiff mit Ziel USA verladen worden. In Lingen formiert sich unterdessen der Protest gegen Brennelemente-Lieferungen nach Belgien und Frankreich.

Quellen (Auszug): nuklearforum.ch, aargauerzeitung.ch, bfs.de, srswatch.org; 6./7.3.2016

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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