EU genehmigt Milliarden-Kredit für AKW-Neubau in Ungarn

08.03.2017 | Jan Becker

Ungarn will den Neubau eines Atomkraftwerks im eigenen Land finanziell massiv unterstützen. Die EU hat diesen Plan kürzlich abgesegnet. Atomkraftgegner*innen kündigen rechtliche Schritte an und warnen vor Auswirkungen auch auf den deutschen Strommarkt.

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Atomkraftwerke in Ungarn

Ungarn betreibt an einem einzigen Standort vier Reaktoren. In Paks, etwa 110 Kilometer südlich der Hauptstadt Budapest, befinden sich an der Donau zwei alte Doppelblock-Anlagen. Wegen erheblicher Sicherheitsrisiken und bauart-bedingter Mängel sind die WWER-440/213-Meiler russischer Herkunft in der Kritik. Block 1 ist schon seit 34 Jahren in Betrieb. Selbst die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA spricht davon, dass es „noch verbesserungsbedürftige Teile“ in der Anlage gäbe.

Durch den Neubau zweier Reaktorblöcke mit jeweils über 1.000 Megawatt Leistung sollen die alten Anlagenteile in etwa 15 bis 20 Jahren ersetzt werden. Das Bauvorhaben hat einen Umfang von insgesamt rund 12,5 Milliarden Euro. 80 Prozent der Kosten sollen durch Kredite russischer Staatsbanken aufgebracht werden. Vor einem Monat hatte Russlands Präsident Wladimir Putin erklärt, den Bau der zwei neuen Paks-Reaktoren notfalls zu 100 Prozent finanzieren zu wollen. Die EU-Kommission überprüfte, ob sich die staatliche Finanzierung verzerrend auf den europäischen Strommarkt auswirkt.

EU gibt grünes Licht für Milliarden-Subvention

Am Montag hat die EU-Kommission grünes Licht für die Staatsbeihilfen gegeben. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager erklärte, Budapest sei "berechtigt in das AKW zu investieren". Wegen Wettbewerbsverzerrungen auf dem Energiemarkt solle die staatliche Unterstützung aber „auf ein Minimum begrenzt werden“. Im Gespräch ist dabei die derzeit kalkulierte Projektsumme von 12 Milliarden Euro.

Für den positiven Bescheid der EU-Kommission hat Ungarn zugesagt, alle mit Paks II erzielten Gewinne dafür einzusetzen, den Investitionsbetrag an Ungarn zurückzuzahlen oder die normalen Betriebskosten zu decken. Die Gewinne dürfen nicht für Reinvestitionen in den Bau oder Erwerb zusätzlicher Erzeugungskapazität verwendet werden.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn

Schon die Anfangsphase der Neubauplanung war ein Skandal: Im vergangenen November hatte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn angestrengt. Bei der Vergabe des Milliardenauftrags an den russischen Staatskonzern Rosatom hatte es keine öffentliche Auschreibung gegeben. Eine klare Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts, attestieren Atomkraftgegener*innen. Doch auch dieses Verfahren wurde kürzlich zugunsten Ungarns entschieden.

Ist es zulässig, dass EU-Mitgliedstaaten mit viel öffentlichem Geld der Atomkraft zu einer Renaissance verhelfen? Atomkraftgegner*innen sagen: Nein!

 

Gegen die Subventionspläne hagelt es Proteste aus zahlreichen EU-Ländern. Denn die positiven Bescheide der EU für Paks-II sowie schon 2015 für das britische Neubau-Projekt Hinkley Point C könnten Vorbilder für weitere Länder werden. Tschechien etwa steht in den Startlöchern und kündigte kürzlich eine „Beschleunigung seiner Atompläne“ an. Noch vor den Wahlen im Oktober soll ein neues Gesetz verabschiedet werden, das künftig die Vorbereitungszeit für den Bau neuer Reaktoren verkürzen soll.

Atomkraftgegner*innen drohen mit rechtlichen Schritten

Österreich kündigte in der Vergangenheit bereits an, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen. Dort hatte das Land bereits gegen das Projekt Hinkley Point protestiert. Die österreichische Umweltschutzorganisation Global 2000 spricht von einem „krummen Deal zwischen Europäischer Kommission und ungarischer Regierung“, da die Subventionen mit EU-Recht nicht vereinbar seien. Atomkraft sei kein „gemeinsames Interesse“ der EU, wie die Kommission behaupte. Damit sei eine Rechtfertigung des positiven Bescheids durch Verweis auf den EURATOM-Vertrag nicht haltbar.

Auch die deutsche Ökostrom-Genossenschaft „Greenpeace Energy“ schloss schon vor der EU-Zustimmung „weitere Schritte nicht aus, um dagegen vorzugehen“. Nun warnt sie davor, dass dieser Deal die ungarischen Steuerzahler*innen teuer zu stehen kommen wird. Diese müssten nicht nur den russischen Milliardenkredit zurückzahlen, sondern auch für sämtliche Preissteigerungen – wie sie bei AKW-Neubauten bekanntlich üblich sind – aufkommen. Die staatlichen Subventionen „dürften am Ende viel teurer werden, als jetzt von Ungarn veranschlagt und von Brüssel genehmigt“, so Sönke Tangermann, Vorstand bei Greenpeace Energy.

Ungarische Öko-Partei startet Volksbegehren

Gegenwind bekommt die rechts-konservative Regierung auch aus dem eigenen Land: Die ungarische Öko-Partei LMP reichte am Donnerstag beim Nationalen Wahlbüro in Budapest Unterlagen für ein Volksbegehren gegen den Ausbau des ungarischen AKW Paks an. Die insgesamt fünf Fragen zielen nicht nur auf die Verhinderung von Paks-II sondern auf den generellen Ausstieg aus der Atomkraft bis 2035 ab. Damit das Referndum zustande kommen kann, müssen nun in Ungarn 200.000 Unterschriften gesammelt werden.

Sollte das Kraftwerk dennoch gebaut werden, hätte das direkte Auswirkungen auf Deutschland: Hoch subventionierter Atomstrom aus Ungarn würde den deutschen Energiemarkt verzerren – zum Nachteil von sauberem erneuerbarem Strom.

„Billiger Dreckstrom von den Börsen würde die Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen in den Ruin treiben, ganz zu schweigen von den enormen Gefahren durch den Betrieb von vier uralten Reaktoren und zwei weiteren Prototyp-Reaktoren am gleichen Standort“, so Dr. Reinhard Uhrig, Atomsprecher von GLOBAL 2000.

weiterlesen:

Quellen (Auszug): dpa, salzburg.com, fr.de, diepresse.com, greenpeace-energy.de, global2000.at; 2./6.3.2017

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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