Verfahren

01.02.2018 | Angela Wolff

Mit dem Standortauswahlgesetz in der Tasche sucht der Staat deutschlandweit nach einer Lagerstätte für den bis Ende 2022 anfallenden hochradioaktiven Atommüll. Alles streng wissenschaftlich, transparent, fair und sogar partizipativ. Von wegen.

Die Menschen in Sterup an der Ostsee sind beunruhigt. Kaum ein Jahr ist vergangen, seit ein norwegischer Konzern hier seine Fracking-Pläne aufgeben musste. Die örtliche Bürger*inneninitiative hatte gegen die umweltschädlichen Öl- und Gasbohrungen gekämpft. Jetzt „bohrt“ sich eine neue Sorge in das Herz der Gemeinde: Rund 17.000 Tonnen hochradioaktiver Atommüll müssen für eine Million Jahre „sicher“ gelagert werden – der Salzstock in Sterup sei möglicherweise geeignet, verkündet die regionale Tagespresse. Und Sterups Bürgermeister Wolfgang Rupp sagt voraus: „Sollte die Gefahr konkreter werden, dass Sterup als Standpunkt für ein Atommüll-Endlager ausgewählt werden könnte, wird der Widerstand massiv.“

Vorfestlegungen statt Ergebnisoffenheit

Dass Atommüll langfristig am sichersten tiefengeologisch einzuschließen sei, hat sich in den Köpfen festgeschrieben. Nicht in denen aller Wissenschaftler*innen wohlgemerkt, denn die sehen das mitunter höchst kritisch. Aber – und das ist entscheidend: In den Köpfen vieler Politiker*innen ist die Idee vom Atommüll-Bergwerk alternativlos. Das, obwohl bislang fast alle tiefengeologischen Lager beschädigt oder havariert sind. Andere Methoden der Atommülllagerung hat der deutsche Staat nie ernsthaft in Erwägung gezogen und entsprechend nicht hinreichend geprüft; mit der Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes (StandAG) im März 2017 hat er sie ausgeschlossen. Dennoch verkünden federführende Politiker*innen, das Parlament habe „ein ergebnisoffenes und streng wissenschaftliches“ Suchverfahren verabschiedet.

Salz, Ton oder Granit – das ist also Gesetz. In den Regionen mit „atommülllagertauglichen“ Gesteinsvorkommen wie in Sterup machen sich nun nach und nach Verunsicherung und Sorge breit. Die Ungewissheit darüber, ob der Atommüll kommt oder nicht, wird das Leben an den potenziellen Standorten eine ganze Weile lang begleiten und womöglich nachhaltig prägen. Offizielle Aussagen zu einzelnen Gebieten gibt es bislang nicht – allein Gorleben ist entgegen aller wissenschaftlicher Expertise nach wie vor gesetzt. Was den Rest der Deutschlandkarte betrifft, steht die neugegründete Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) am Anfang ihrer Recherchen. Bundesweit fragt sie geologische Daten bei den Landesämtern ab. Die Informationsdichte ist unterschiedlich. Zu einigen Regionen liegt kein aussagekräftiges Datenmaterial vor – möglicherweise fallen diese Gebiete aus dem Verfahren. Die Hürde ist niedrig; der Anspruch der Wissenschaftlichkeit auch in diesem Punkt mehr als fragwürdig.

Scheinbeteiligung

Frühestens Ende des Jahres will die BGE erstmals potenzielle Gebiete benennen. Dann werden die Verfahrensträger, die BGE und das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE), mit der betroffenen Bevölkerung in Kontakt treten: Zum Auftakt einer groß angelegten Beteiligungsfarce. Das Standortauswahlgesetz deklariert den Suchprozess als partizipatives Verfahren. Echte Partizipation beginnt in Theorie und Praxis mit dem Recht auf Mitbestimmung – nicht so im StandAG. Hier meint „Partizipation“ lediglich Information und Anhörung. Das Mindestmaß an Beteiligung, das der Staat seinen Bürger*innen aufgrund internationaler Abkommen (Aarhus-Konvention) zugestehen muss. Dabei handelt es sich nur um Vorstufen der Partizipation und selbst diese sind im StandAG nur kläglich umgesetzt: Drei Mal im gesamten Verfahrenszeitraum können Betroffene Stellungnahmen abgeben und sich bei Erörterungsterminen äußern. Dafür setzt das BfE, das als Regulierungsbehörde auch den Informationsfluss steuert und die „Beteiligungsformate“ durchführt, enge Fristen. Zeit für eine fundierte Auseinandersetzung mit der komplexen geowissenschaftlichen Materie räumt das StandAG nicht ein. Hinzu kommt, dass BfE und BGE selbst darüber entscheiden, inwieweit sie Einwände berücksichtigen wollen – im Zweifel bleibt jede noch so berechtigte Kritik wirkungslos.

Vorzeigeprojekt „Nationales Begleitgremium“

Das mediale Interesse im Standortauswahlverfahren ist auf das Nationale Begleitgremium (NBG) gerichtet. Zwölf sogenannte „anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, die von Bundestag und Bundesrat bestimmt werden, und sechs nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger*innen sollen den Suchprozess unabhängig begleiten und bei aufkeimenden Konflikten für Ruhe sorgen.* Dafür dürfen sie in die Akten schauen und jederzeit Stellungnahmen abgeben, die niemand beachten muss – das Sahnehäubchen einer pseudohaften Öffentlichkeitsbeteiligung. Das NBG ersetzt weder fehlende Beteiligungsrechte Betroffener noch verfügt es selbst über ein Mitbestimmungs- und Veto-Recht. Selbst wenn es dem NBG gelingt, trotz des Einflusses von Bundestag und Bundesrat seine Unabhängigkeit zu wahren, ist es dennoch ein zahnloser Tiger in einem unfairen Verfahren.

Der Rechtsweg ist verbaut

Das StandAG schiebt nicht nur jeglicher Form der Mitbestimmung durch Bürger*innen rigoros einen Riegel vor, es beschneidet auch ihre Klagerechte deutlich. Das Suchverfahren ist gesetzlich festgelegt. Standortentscheidungen innerhalb des Verfahrens bringt der Bundestag ebenfalls in Gesetzesform. Dadurch entfallen juristische Hebel, mit denen Entscheidungen der Verfahrensträger auf inhaltlicher Ebene gerichtlich überprüft werden könnten. Betroffenen bleibt dann nur der beschwerliche Gang zum Bundesverfassungsgericht – hier müssen die Kläger*innen Grundrechtsverletzungen anmelden. Lediglich im Vorfeld des Parlamentsbeschlusses zur untertägigen Erkundung und ebenso vor der endgültigen Standortentscheidung können Bürger*innen wegen Verfahrensfehlern vor dem Bundesverwaltungsgericht klagen. Es prüft dann, ob BGE und BfE die Vorgaben des StandAG eingehalten haben. Mit anderen Worten: Das Gericht urteilt bestenfalls darüber, ob ein schlechtes Gesetz „richtig“ angewendet wurde.

Das entscheidende Kriterium ist politisch

Die „StandAG-Spielregeln“ für die Verfahrensträger sind im Detail so offen formuliert, dass verwaltungsrechtlich kaum Angriffsfläche geboten sein dürfte. Die geologischen Kriterien sind ebenfalls nicht stichhaltig. Ein wissenschaftlicher Vergleich von Standorten unterschiedlicher Gesteinsarten ist mit dem StandAG nicht möglich. Stattdessen liefert es Formelkompromisse, mit denen politischer Wille die Wissenschaft leicht aushebeln kann. Am Ende werden die Machtverhältnisse im Bundestag ausschlaggebend sein oder auch wirtschaftliche Interessen – dies ist sogar im Gesetz vorgesehen: Stuft die BGE die geologischen Voraussetzungen mehrerer Standorte als gleichwertig ein, zieht sie sogenannte „planungswissenschaftliche“ Abwägungskriterien zur Entscheidungsfindung heran. Es wäre dann durchaus möglich, dass – Ironie des Schicksals – ein Ort wie Sterup in Schleswig-Holstein aus dem Verfahren ausscheidet, weil ein Investor Fracking-Pläne anmeldet.  

Dieser Artikel erschien ursprünglich im .ausgestrahlt-Magazin 38, Februar 2018

 

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Angela Wolff

Angela Wolff ist zwischen Braunkohlekraftwerk und Atomreaktor im Rheinischen Revier aufgewachsen. Heute lebt sie an der dänischen Grenze in Schleswig-Holstein und setzt sich dort ehrenamtlich gegen verfehlte Atompolitik ein. Angela hat Medien- und Kulturwissenschaften studiert. Bevor sie 2017 als Redakteurin Teil des .ausgestrahlt-Teams wurde, hat sie für TV- und Filmproduktionen, Info-Kampagnen und Magazine geschrieben. Von 2019 bis 2021 war sie Campaignerin bei .ausgestrahlt und hat insbesondere zu den Themen Klima und Atom, Standortsuche und AKW-Abriss gearbeitet.

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