Radioaktives Leck in Neckarwestheim & Temelin

19.09.2018 | Jan Becker

Weil Reparaturarbeiten nötig sind, wird sich die Revision im Atomkraftwerk Neckarwestheim-II um mehrere Wochen verlängern. Parallel musste das Kraftwerk eine Leckage im Primärkreislauf melden. In Tschechien floss radioaktives Wasser in ein Kanalnetz statt in dafür vorgesehene Sammelbehälter.

Protestaktion vor dem AKW Temelin, Tschechien
Protestaktion vor dem tschechischen AKW Temelin

In der Regel dauert die Jahresrevision, während der neue Brennelemente in die Reaktoren eingesetzt und zahlreiche Prüfungen vorgenommen werden, drei Wochen. In dieser Zeit bestellt der Betreiberkonzern hunderte Fremdarbeiter, die unzählige Arbeiten verrichten, die nur bei abgeschaltetem AKW möglich sind. Neckarwestheim-II ist am 31. August für diese Revision vom Netz gegangen.

Laut Betreiber EnBW werden in diesem Jahr eine der drei Hauptspeisewasserpumpen sowie Pumpen des Zwischen- und Nachkühlsystems und ein Reservenetztrafo grundüberholt. Im Zentrum stehen allerdings die vier Dampferzeuger, die unter anderem jeweils einer Wirbelstromprüfung unterzogen werden sollten. Im Zuge dieser Prüfungen wurde bei einzelnen, in den Dampferzeugern verbauten Heizrohren eine Schwächung der Rohrwände festgestellt. Durch diese dünnen Rohre gibt das radioaktive Kühlmittel des primären Kreislaufes, der unmittelbar an den Reaktorkern angeschlossen ist, seine Hitze an den sekundären Kühlkreislauf ab.

Die 1,3 Millimeter starken Wände der etwa 4.000 Heizrohre eines Dampferzeugers müssen eine Druckdifferenz von 83 bar standhalten, 155 bar auf der Innenseite, die mit dem Reaktor in Verbindung steht, und 72 bar auf der Sekundärseite, wo der Dampf erzeugt wird, der die riesige Turbine antreibt.

„Die Konstruktion der Dampferzeuger sorgt dafür, dass zwischen den Kreisläufen nur die Wärme ausgetauscht wird, nicht jedoch der Inhalt der Kreisläufe“, schreibt Betreiber EnBW. Kommt es zu einer Leckage oder Abriss eines dieser Rohre („Dampferzeugerheizrohrbruch“), strömt automatisch durch den Druckunterschied radioaktives Kühlwasser in den zweiten, nicht-aktivierten Kreislauf über. Diese Situation ist gefährlich, weil es ein Kühlmittelverlust im ersten Kreislauf bedeutet, außerdem werden die vom sekundären Kühlwasser getriebenen Turbinen, die sich außerhalb des Reaktorgebäudes befinden, verseucht.

In seinem Buch „Der Störfall“ schreibt der ehemalige Leiter des AKW Biblis, Helmut J. L. Mayer, über einen solchen fiktiven „Dampferzeugerheizrohrbruch“. Laut Mayer ist dieser „technisch mögliche Störfallablauf“ im Zusammenhang mit weiteren Ereignissen wie dem Ausfall von Kühlmittelpumpen „der gefährlichste aller Störfälle in westlichen Atomkraftwerken“. Im Vergleich zu anderen Ereignissen würde er aber realitiv wenig in den Störfallanalysen untersucht werden, so Mayer. In seinem Roman geht am Ende alles gut, der kurz bevorstehende GAU kann noch abgewendet werden.

Der Betreiber EnBW beschwichtigt in seiner kürzlichen Veröffentlichung, dass die in Neckarwestheim betroffenen Rohre „weiterhin über eine ausreichende Wandstärke“ verfügen. Betroffene Dampferzeugerheizrohre sollen trotzdem vor dem Wiederanfahren der Anlage „dauerhaft verschlossen“ werden. Die Dauer der vermutlich fünftletzten Revision vor der ewigen Abschaltung wird sich für weitere Untersuchungen und Ursachenklärung voraussichtlich bis Mitte November hinauszögern - also um fast zwei Monate verlängern!

Schlamperei! Leckage in Armatur des Primärkreislaufes

Während der derzeit laufenden Revision ist außerdem bei der Spülung des sogenannten Druckhalters kontaminiertes Kühlwasser aus dem primären Kreislauf in einem Raum des Reaktorgebäudes ausgetreten. Ursache war ein nicht angeschlossener Schlauch. Dank „technischer Vorkehrungen“ konnte die Leckage der Gebäudeentwässerung zugeführt werden.

Einen ähnlichen Vorfall gab es im tschechischen AKW Temelin. Im Kontrollbereich waren mehrere Kubikmeter kontaminierte Flüssigkeit ausgetreten. Statt in einen Sammelbehälter hätten Arbeiter das schwach radioaktive Wasser aber in ein Kanalnetz geleitet, teilte AKW-Sprecher Marek Svitak am vergangenen Montag mit. Die Flüssigkeit mit einem Volumen von 12 Kubikmetern sei in einem Auffangbecken der internen Kläranlage, außerhalb des Kontrollbereichs, gelandet.

Atomkraftgegner*innen fordern nun eine detaillierte Aufklärung des jüngsten Zwischenfalls in Temelin. Es sei „bereits zum x-ten Mal radioaktives Wasser ausgetreten und in ein Auffangbecken geflossen, allerdings in das falsche“, so das Anti Atom Komitee. „Solche Zwischenfälle dürfen keineswegs verharmlost werden, denn wenn radioaktives Wasser aus dem Reaktor entweicht, ist das meistens auf den Primärkreislauf bezogen und darf einfach nicht passieren“, so Manfred Doppler vom Komitee.

„Auch wenn Störfälle immer wieder glimpflich verlaufen: Dieser Technologie muss endlich die finanzielle und politische Grundlage entzogen werden“, fordern Gabriele Schweiger und Roland Egger, Sprecher von atomstopp_oberoesterreich. Der EURATOM-Vertrag, der allein die Weiterexistenz der Atomindustrie stütze und ermögliche, müsse aufgelöst werden!

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Quellen (Auszug): enbw.com, Anti Atom Komitee, atomstopp_oberoesterreich, merkur.de, tips.at; 13./14.9.2018

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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