Atomindustrie befindet sich „in einer Nussschale“

14.01.2019 | Jan Becker

Der Trend setzt sich fort: Atomkraft verliert weltweit weiter an Bedeutung. AKW-Neubauprojekte sterben zudem an zu hohen Kosten.

Risiko Super-GAU
Foto: publiXviewing

Auf den Tag genau 45 Jahre nach der Inbetriebnahme ist am 21. Dezember 2018 der russische Reaktor von Leningrad-1 für immer vom Stromnetz getrennt worden. Fünf weitere Meiler wurden im vergangenen Jahr stillgelegt: zwei Blöcke in taiwanesischen Chin Shan und das US-AKW Oyster Creek. Für zwei AKW in Japan wurde nach jahrelangem Stillstand das Ende beschlossen.

Der Weiterbetrieb des Reaktors in den USA hatte sich nicht mehr gerechnet. Alternative Energien werden immer günstiger, während Atomanlagen dank ungeklärter und damit immer kostenintensiverer Atommüll-Lagerung und geforderten Nachrüstungen immer teurer werden. Oyster Creek ist nicht das erste und wird nicht das letzte AKW sein, das aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben wird.

Die Situation in Taiwan ist eine andere: Chin Shan 1 stand nämlich bereits seit dem 28. Dezember 2014 still, Block 2 seit dem 6. März 2017. Der Betreiber hatte keine Lizenz für die Erweiterung seiner Atommüll-Lager bekommen, alle bestehenden Kapazitäten waren erschöpft. Somit wurde das Betriebsende politisch erzwungen. Die Bevölkerung stimmte zwar Ende November 2018 gegen einen nach Fukushima (2011) beschlossenen Atomausstieg bis 2025. Weil ein weiteres AKW auch keinen Platz mehr für seinen Atommüll hat, befindet sich zur Zeit nur noch eines von ehemals drei AKW in Betrieb.

Neun Atomreaktoren starteten hingegen im letzten Jahr die Stromerzeugung, wodurch die weltweite AKW-Kapazität um 8,6 Gigawatt (GW) anstieg. Dabei dominiert erneut China mit sieben Einheiten. Da im Jahr 2018 allerdings nach ersten Abschätzungen weitere 100 GW Photovoltaik und 50 GW Windkraft zugebaut worden sind, sinkt der Atomstromanteil an der weltweiten Stromerzeugung weiter.

Die Atomindustrie befände sich „in einer Nussschale“, so Mycle Schneider, der jährlichen den „World Nuclear Industry Status“ veröffentlicht. Dutzende Anlagen befinden sich im „Langzeit-Stillstand“. Die meisten davon in Japan, deren Zukunft sei ungewiss. Nach dem GAU von Fukushima wurden bekanntlich alle 54 Reaktoren abgeschaltet, nur neun durften seitdem wieder den Betrieb aufnehmen. Vielerorts konnte die Bevölkerung die Neustarts verhindern.

Japan stoppt Bauprojekt in England

Nach Fukushima konnte der japanische Atomkonzern Hitachi keine Technologie mehr im eigenen Land verkaufen. Stattdessen orientierte sich das Unternehmen nach Europa. Nach der Übernahme von „Horizon Nuclear Power“ in 2012, ein ursprünglich deutsches Konsortium von E.ON und RWE, sollten am Standort Wylfa in Wales zwei neue Reaktoren gebaut werden. Es sollte Hitachis erstes großes Bauprojekt im Nuklearsektor seit 2011 werden.

Doch wie auf anderen AKW-Baustellen stiegen die Kosten deutlich, vor allem durch höhere Sicherheitsstandards. Am Ende war von mehr als 24 Milliarden Euro die Rede. Der Konzern schaffte es deshalb nicht, Investoren für das Projekt zu finden. Zum Jahresende 2018 wurde gemeldet, dass 19 Milliarden Euro fehlen. Deshalb sind die Pläne nun gestoppt worden. Aufgrund des fehlgeschlagenen Projekts stellt Hitachi vermutlich ebenfalls den Bau eines geplanten AKW in der Türkei ein. Anders als die Atomlobby feierte die Börse in Tokio diese Schritte: Hitachis Aktie stieg um knapp 9 Prozent. Investoren sehen sogar das Signal, dass sich der Konzern ganz aus den Atomgeschäften zurückziehen könnte.

Finnlands nächster „Problemreaktor“

Mit AKW-Neubauten hat auch Finnland keine guten Erfahrungen. 2005 begannen europäische Konzerne, darunter Siemens, mit dem Bau von Olkiluoto 3. Er sollte 2010 ans Netz gehen. 14 Jahre nach Baubeginn ist er immer noch nicht fertig. Jetzt heißt es, ab Januar 2020 werde Strom geliefert. Zehn Jahre später und dreimal so teuer wie geplant.

Am Standort Hanhikivi nahe dem nordwestfinnischen Ort Pyhäjoki soll mitten im Naturschutzgebiet ein weiterer AKW-Standort entstehen. Schon 2010 bekam der russische Konzern und Weltmarktführer Rosatom die Genehmigung für den Bau eines 1.200-Megawatt-Reaktors. Baubeginn sollte 2018, Inbetriebnahme 2024 sein. Doch bis heute sind bei der finnischen Atomaufsichtsbehörde Stuk nur zehn Prozent der benötigten Unterlagen eingegangen. Rosatom habe lediglich Kopien eines vergleichbaren Reaktors in Russland geliefert. Die Fertigstellung werde sich deshalb um mindestens vier Jahre verzögern. Der Bau des nächsten „Problemreaktors“ hat also noch gar nicht begonnen - und die Kosten sind von ursprünglichen fünf auf 6,5 bis sieben Milliarden Euro gestiegen.

weiterlesen:

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Quellen (Auszug): FORUM / sonnenseite.com, dpa, nuklearforum.ch, iaea.org/pris, worldnuclearreport.org, taz.de, sumikai.com

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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