Bund investiert kräftig in Atom-Aktien

04.03.2019 | Jan Becker

Mitte 2017 zeigte sich die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) „überrascht“: Der Bund ist über seinen Pensionsfonds indirekt Miteigentümer der umstrittenen belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel. Hendricks wollte das umgehend ändern, weil sich diese Investments „nicht mit dem Atomausstieg vertragen“. Passiert ist seitdem das Gegenteil.

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Foto: Christian Mang

Richtig viel Geld wurde aus den Pensionsrücklagen für Beamt*innen und Soldat*innen in europäische Atomkraftwerksbetreiber investiert. Nachdem jahrelang Gelder einfach in Staatsanleihen geparkt wurden, durften die Fondsmanager der Bundesbank seit Januar 2017 einen Anteil von 20 Prozent auch in Aktien anlegen.

Mitte 2017 war von Anteilen des Bundes in Höhe von 6,4 Millionen Euro an dem belgischen Stromversorger und Betreiber der beiden Atomkraftwerke Tihange und Doel, Engie Electrabel, die Rede. Pikant, denn die Meiler machten Schlagzeilen wegen Rissen im Reaktor und die Bundesumweltministerin forderte die Stilllegung. Im Fonds zur Finanzierung deutscher Beamtenpensionen hielt der Bund darüber hinaus Aktien an zahlreichen Energiekonzernen: Vertreten waren E.ON (bis Sept. 2018), der italienische Stromlieferant Enel, die spanische Iberdrola und Engie Electrabel. Allesamt Betreiberfirmen von Atomkraftwerken. Im Juni 2017 betrug die Gesamtsumme des Atom-Investments rund 33 Millionen Euro.

Es vertrage sich nicht, wenn „wir einerseits für die Abschaltung von Atomkraftwerken eintreten, deren Sicherheit fraglich ist, und gleichzeitig ein finanzielles Interesse am Betrieb der Anlagen haben müssen“, sagte Hendricks im Sommer 2017. Sie habe nichts von den Investments an Tihange und Doel gewusst und wollte sich dafür einsetzen, dass diese Atom-Investments beendet werden.

Doch die Aktiengeschäfte lohnten sich, es konnten ordentliche Wertzuwächse verzeichnen werden. Deshalb wurde weiter investiert: Zum Jahreswechsel 2017/18 hielt der Bund gut 14 Millionen Aktien unterschiedlicher Atom-Firmen u.a. über den sog. Index Euro-Stoxx-50. Die Gesamtsumme der Anteile betrug nun schon rund 100 Millionen Euro, davon 84 Millionen Euro im Ausland.

Am 14. März 2018 schlossen dann die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD ihren neuen Koalitionsvertrag ab. In diesem steht eindeutig beschlossen: Die „Beendigung aller Beteiligungen staatlicher Fonds an Akw im Ausland“.

300 Millionen Euro

Ein halbes Jahr später hat der Bund seine Beteiligungen an Atomkonzernen auf rund 145 Millionen Euro aufgestockt. Ende 2018 beträgt die Zahl der Aktien knapp 26 Millionen - und hat sich damit innerhalb kurzer Zeit fast verdoppelt. Zusammen mit zwei weiteren Sondervermögen des Bundes für die Pflege- und die Arbeitslosenversicherung belief sich der Wert der Atomaktien im Bundesbesitz Ende 2018 auf über 300 Millionen Euro.

Das Innenministerium erklärte im Oktober 2018, dass die Beteiligungen noch weiter steigen werden, weil „die vom Gesetzgeber aufgetragene Aufstockung auf einen 20-prozentigen Aktienanteil noch nicht abgeschlossen“ sei.

„Baden-Württemberg kann alles – außer sauber investieren“

Das Bundesland Baden-Württemberg ist in zweierlei Hinsicht besonders: Es hält 46,75 Prozent der Aktien-Anteile am Atomkonzern EnBW. Das Unternehmen betreibt die Atomkraftwerke Neckarwestheim-2 und Philippsburg-2. Außerdem ist Baden-Württemberg mit seinem Pensionsfonds deutlich risikofreudiger als der Bund, der maximal 20 Prozent in Aktien anlegen will: Das Land wollte 2017 von bereits 40 auf 50 Prozent erhöhen. „Baden-Württemberg kann alles – außer sauber investieren“, attestierte CORRECTIV schon 2016 in einer aufschlussreichen Recherche zu den Investments. Darunter sind - wie beim Bund - zahlreiche Atomfirmen.

Ein Skandal!

Maßgeblich beteiligt daran, dass diese schmutzigen Geschäfte um die Pensioninvestments des Bundes an die Öffentlichkeit kamen, ist die grüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl. Als Teil der Bundestagsopposition spricht sie von einem „Skandal“ und kritisiert die schwarz/rote Regierung scharf.

Seit 2005 ist Kotting-Uhl Mitglied des Deutschen Bundestags. Eingezogen ist sie über die Landesliste Baden-Württemberg. Regiert wird Baden-Württemberg seit 2011 von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Seit der Landtagswahl 2016 halten die Grünen im Landtag die meisten Sitze.

Ein Skandal!

Skandal ist, dass ausgerechnet Baden-Württemberg kräftig - und wie kaum ein anderes Bundesland - am Weiterbetrieb der Atomanlagen verdient. Frau Kotting-Uhl sollte also schleunigst auch im eigenen Bundesland aktiv werden, anstatt nur auf die Bundesregierung zu schimpfen.

NRW stieg aus

Mit rund 23,3 Millionen Euro war Nordrhein-Westfalen am französischen Atomkonzern EDF und dem belgischen Engie-Electrael-Konzern (Betreiberin von Tihange und Doel) beteilgt. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen verkaufte die abgelöste rot-grüne Landesregierung Mitte Juni 2017 die indirekten Anteile des rund zehn Milliarden Euro schweren Pensionsfonds des Landes an den umstrittenen belgischen Atomkraftwerken Tihange und Doel. Atomausstieg funktioniert auch in Aktien.

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Quellen (Auszug): br.de, taz.de, jungewelt.de, tagesspiegel.de, bundesregierung.de, correctiv.org

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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