Unverantwortliche Geheim-Transporte

10.09.2019 | Jan Becker

Wenige Jahre vor dem Betriebsende des letzten Atomkraftwerks in Deutschland finden weiter zahlreiche Atomtransporte statt. Sie dienen zum Beispiel dem reibungslosen Weiterbetrieb der Brennstoff-Fabriken Gronau und Lingen. Atomkraftgegner*innen kritisieren nicht nur den zeitlich unbegrenzten Weiterbetrieb der Anlagen, sondern sorgen sich aktuell um die Sicherheit der Bevölkerung.

Urantransport aus Gronau, 9.9.2019
Foto: SofA Münster
Durchfahrt des Urantransports in Burgsteinfurt

Aufmerksame Beobachter*innen haben am Montag (9. September) einen Zug aufgespürt, der am Vormittag mit rund 600 Tonnen abgereichertem Uranhexafluorid (UF6) beladen von der Urananreicherungsanlage in Gronau gestartet war. Um 12.10 Uhr passierte er den Münsteraner Hauptbahnhof auf Gleis 3. Eine polizeiliche Sicherung an den Bahngleisen sowie eine warnende Information für die zahlreichen Bahnkunden auf den Bahnsteigen gab es nicht, stellten anwesende Atomkraftgegner*innen fest.

„Niemand auf den Bahnsteigen wusste, dass jetzt gerade ein strahlender Atomtransport durchrollt – diese Geheimniskrämerei ist unverantwortlich“, heißt es von Aktivist*innen der Initiative SOFA (Sofortiger Atomausstieg) Münster.

Allerdings sei über dem Bahnhof ein Polizeihubschrauber gekreist. In der Vergangenheit waren solche Transporte immer wieder von Protest begleitet worden, es gab schon mehrstündige Blockadeaktionen.

Die Kritik an den Transporten: Kommt es zu einem Unfall, ein Behälter schlägt Leck, dann entsteht aus Uranhexafluorid und Wasser u.a. aggressive Flusssäure. In Folge eines Unfalles besteht je nach Freisetzungsmenge noch in zwei Kilometern Entfernung für Menschen akute Lebensgefahr. Deshalb warnen Atomkraftgegner*innen seit Jahren vor Gefahren, die von den Behörden weitestgehend missachtet werden.

Urantransport aus Gronau, 9.9.2019
Foto: SofA Münster
Warnschilder an Urantransportwaggon

Zudem dienen die Urantransporte dem reibungslosen Weiterbetrieb der Uranfabriken. Gronau kann bis zu 4500 t Urantrennarbeit pro Jahr leisten - was zur Versorgung von etwa 35 Atomkraftwerken ausreicht bzw. 10 Prozent des Weltmarktanteils für angereichertes Uran entspricht.

Mit jeder Tonne angereichertem Uranhexafluorid entstehen auch etwa 6 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid, weil der Urananteil zur Verarbeitung zu gering ist, eigentlich Atommüll. Dieses Material befand sich auf den Transportwaggons auf dem Weg in eine Dekonversionsanlage in Südfrankreich bzw. Großbritannien. Dort soll das Uran wieder umgewandelt werden, um dann wieder zurück nach Gronau transportiert zu werden. Kritiker*innen sagen, dass sich dieser Aufwand wirtschaftlich nicht rechnet. Deshalb lagern auf dem Gelände der Anreicherungsanlage bereits große Mengen abgereichertes UF6, das irgendwann in ein Atommülllager gebracht werden soll.

Andere, in der Regel allerdings LKW-Fahrten, führen mit angreichertem Uran in die Brennelementefabrik in Lingen. Das Unfallrisiko durch die Nutzung von Autobahnen ist ungleich größer.

„Wann unterbindet die NRW-Landesregierung endlich diesen Atommülltourismus, der allein dem Weiterbetrieb der Urananreicherungsanlage in Gronau dient?“ fragen die Aktivist*innen.

Nächste Demo geplant

Dass die beiden Brennstofffabriken in Gronau und Lingen vom Atomausstieg ausgeklammert wurden, wird schon seit Jahren kritisiert und ist immer wieder Anlass für Proteste. Im Januar dieses Jahres gingen 200 Menschen anlässlich des 40. Jahrestags der Inbetriebnahme der umstrittenen Brennelementefabrik auf die Straße.

Selbst das Bundesumweltministerium kritisiert den Weiterbetrieb von besonders umstrittenen Reaktoren im belgischen Doel oder Tihange oder der Uraltmeiler wie Fessenheim und Cattenom an der deutsch-französischen Grenze. Dennoch wird dorthin deutscher Brennstoff aus Lingen geliefert - mit Genehmigung der Bundesregierung.

„Lingen und Gronau halten hochgefährliche Pannenreaktoren weltweit am Laufen! Vom 'Atomausstieg' ist hier nichts zu spüren!”, heißt es im Aufruf zur nächsten Demonstration, die für den 26. Oktober in Lingen angekündigt wird. „Es wird dringend Zeit zu handeln!”

Wöchentlich erreichen neue Uranhexafluorid-Transporte die Atomfabrik im Lingener Industriegebiet, wöchentlich verlassen frische Brennelemente das Werk. Allein im Juli 2019 führten sechs Brennelementtransporte von Lingen nach Doel.

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Quellen (Auszug): sofa-ms.de, urantransporte.de, twitter.com/urantransport, lingen-demo.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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