Virus schränkt Kontrolle ein

07.05.2020 | Jochen Stay

Die Standortsuche für ein Atommüll-Lager geht 2020 in eine entscheidende Phase. Doch die Corona-Krise bringt auch hier vieles durcheinander. Während die Suche unvermindert weitergeht, ist die zivilgesellschaftliche Kontrolle ausgebremst.

 

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Corona bringt vieles durcheinander. Ob dies auch auf den Zeitplan der Standortsuche für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager zutrifft, war zum Redaktionsschluss dieses Magazins noch völlig offen. Bisher haben die staatlichen Institutionen, die für die Suche zuständig sind, an ihren Plänen nichts geändert. Die Veröffentlichung des „Zwischenberichts Teilgebiete“ ist also weiterhin für Ende September vorgesehen. Mit diesem Bericht wird die „Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE)“ erstmals eine offizielle Landkarte mit den Regionen veröffentlichen, die aus ihrer Sicht in Deutschland für die weitere Suche infrage kommen.

Im Anschluss an den Zwischenbericht soll laut Standortauswahlgesetz (StandAG) die „Fachkonferenz Teilgebiete“ zusammenkommen, an der „Bürgerinnen und Bürger, Vertreter der Gebietskörperschaften der (…) Teilgebiete, Vertreter gesellschaftlicher Organisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ teilnehmen können.

Drei Sitzungen in sechs Monaten – dann ist Schluss

Die „Fachkonferenz“ soll, so steht es im StandAG, den Zwischenbericht „erörtern“ und ihre Beratungsergebnisse der BGE übermitteln. Sie darf sich dabei, auch das ist haarklein gesetzlich festgelegt, nur dreimal innerhalb von sechs Monaten treffen und wird dann umgehend wieder aufgelöst, ob die Teilnehmenden an der Konferenz das wollen oder nicht. Organisiert wird das Ganze vom Atommüll-Bundesamt (BASE), das damit in einer schwierigen Doppelrolle ist. Denn es ist gut möglich, dass es bei den Sitzungen Konflikte mit dem Amt in seiner Rolle als Aufsichtsbehörde gibt. Da ist es dann kontraproduktiv, dass die Geschäftsstelle der Konferenz beim Bundesamt angesiedelt ist und dieses die Veranstaltungen steuert.

Aktuell ist vom BASE vorgesehen, die drei Sitzungen der „Fachkonferenz Teilgebiete“ zwischen Januar und Juni 2021 durchzuführen. Wie viele Hundert, ja vielleicht sogar über tausend Menschen in drei Sitzungen als Gremium arbeitsfähig werden und sich dann noch auf gemeinsame Ergebnisse verständigen sollen, bleibt ein Rätsel. Und selbst wenn es der „Fachkonferenz“ gelänge, am Ende eine Stellungnahme an die BGE zu übermitteln, hat das nicht unbedingt Folgen. Denn im StandAG steht lediglich, dass die Bundesgesellschaft die Beratungsergebnisse „berücksichtigen“ soll. „Berücksichtigen“ bedeutet im Amtsdeutsch allerdings nur, sie in irgendeiner Weise zu verarbeiten, das heißt, sie nicht unbesehen völlig zu ignorieren. Sie bewusst zu verwerfen, reicht jedoch vollkommen aus, um der gesetzlichen Berücksichtigungspflicht Genüge zu tun.

Schon unter normalen Bedingungen ist die Ausgangslage für die Betroffenen der Standortsuche also denkbar schlecht. Nun kommt noch Corona obendrauf. Während die Arbeit der BGE sich größtenteils auch im Homeoffice vorantreiben lässt, ja jetzt sogar manches schneller geht, weil die öffentlichen Veranstaltungen wegfallen, haben die potenziell betroffenen Kommunen und Bürger*innen durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens weniger Möglichkeiten, sich einzumischen. Oder wie es das Nationale Begleitgremium (NBG) formuliert: „Während die wissenschaftliche Arbeit der Datenauswertung relativ unbeirrt voranschreiten kann, wird die öffentliche Sphäre durch Bewegungs- und Kontakteinschränkungen bei ihrer Kontrollaufgabe behindert.“ Auch das gerade fast völlig neu zusammengesetzte NBG wird gerade in der entscheidenden konstituierenden Phase lediglich mit großen Einschränkungen per Telefon- und Videokonferenzen tagen können. Inwieweit dabei die Öffentlichkeit einbezogen werden kann, ist derzeit noch offen.

Wie reagiert das Bundesamt auf Corona?

In dem bereits zitierten NBG-Papier werden unterschiedliche Optionen beleuchtet, wie das Suchverfahren nun angepasst werden könnte. Das reicht von einem Moratorium für die Suche über die Verschiebung der „Fachkonferenz“, der Idee, sie ins Internet zu verlegen, bis zur Streichung von Zwischenbericht und Konferenz aus dem StandAG. Was allerdings auch passieren könnte, ist, dass das Bundesamt darauf drängt, das Verfahren wie im Gesetz festgelegt einfach durchzuziehen, in der Hoffnung, dass im ersten Halbjahr 2021 die Durchführung größerer Sitzungen irgendwie wieder möglich ist.

Eine andere Möglichkeit halte ich für die spannendste: Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, könnte die Corona-Krise die Chance bieten, über Bestehendes grundlegend neu nachzudenken – hier also über die Standortsuche für ein Atommüll-Lager. Anstelle des Moratoriums oder des „Weiter so“ oder eines Ausweichens ins Netz stünde dann die Entscheidung, das Verfahren auszusetzen und sich, wenn öffentliches Leben wieder möglich ist, um ein neues und besseres Verfahren zu kümmern – gemeinsam mit den potenziell Betroffenen.

Solange aber kein neuer Weg gefunden ist, müssen die Menschen in den möglichen Standortregionen damit rechnen, dass es wie bisher geplant weitergeht. Dann stünde im September der „Zwischenbericht Teilgebiete“ an und Anfang 2021 die „Fachkonferenz Teilgebiete“ als ein Pseudo-Beteiligungs-Format ohne Ergebniswirksamkeit.

Die Zeit bis dahin ist knapp. Vor allem in einer Situation, in der das öffentliche Leben ausgebremst ist. Umso wichtiger ist es, dass sich überall jetzt bereits Menschen finden, die sich in die komplizierte Materie der Standortsuche einarbeiten, die sich, trotz „sozialer Distanz“ mit anderen vernetzen und schließlich gemeinsam die Frage diskutieren, wie sie mit der „Fachkonferenz“ umgehen wollen. Boykottieren? Kritisch teilnehmen? .ausgestrahlt unterstützt Euch dabei.

Aktionen

Tag X
Am 30. September ist „Tag X“. So nennt die „Bundesgesellschaft  für  Endlagerung“ den Zeitpunkt, an dem sie erstmals über Gebiete informiert, die für die weitere Suche nach einem tiefengeologischen Atommüll-Lager infrage kommen. Das sind, von Erscheinen dieses Magazins an gerechnet, noch gut vier Monate. Darauf zu hoffen, dass die Corona-Krise den Zeitplan kippt, ist zu riskant. Höchste Zeit also, sich schlau zu machen und sich auf den „Tag X“ vorzubereiten. Denn danach geht alles sehr schnell.

Informieren
Umfassende Informationen zum Suchverfahren findest Du auf der .ausgestrahlt-Webseite  im  „Infoportal Standortsuche“  oder im .ausgestrahlt-Shop. Aktuell  bereitet .ausgestrahlt  Online-Infoveranstaltungen   zum Thema vor.

Organisieren
.ausgestrahlt  bietet  Beratung  für  die  Vernetzungsarbeit vor Ort an. Anfragen richte gerne an helge.bauer@ausgestrahlt.de

Dieser Artikel erschien zuerst im .ausgestrahlt-Magazin Ausg. 47 (Mai/Juni/Juli 2020)

 

weiterlesen:

  • ausführliche Informationen findest Du im Infoportal Standortsuche

  • Potenzielle Standorte - Unsere Karte zeigt Landkreise und kreisfreie Städte, die von der Standortsuche betroffen sein könnten.

  • Begleitgremium für die Standortsuche neu besetzt
    24.03.2020 - Mit fast zweijähriger Verspätung haben Bundestag und Bundesrat jetzt das Nationale Begleitgremium komplettiert. Neben sechs zufällig ausgewählten Bürger*innen sind nun zwölf „anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, wie es im Gesetz heißt, berufen worden. Die neue Zusammensetzung des Gremiums wirft eine Menge Fragen auf.

  • Atommüll-Sicherheitsanforderungen: Sicher geht anders
    10.03.2020 - Ein dauerhaftes Lager für hochradioaktive Abfälle muss aus Sicht des Gesetzgebers bestimmte Sicherheitsanforderungen erfüllen, damit es errichtet und betrieben werden darf. Diese Anforderungen werden demnächst in einer Verordnung festgelegt und dann bereits im Suchverfahren bei den geplanten vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen berücksichtigt.

  • Die Standortsuche geht in ein entscheidendes Jahr
    12.02.2020 - Seit drei Jahren läuft die Standortsuche für ein geologisches Tiefenlager für hochradioaktiven Atommüll. In diesem Jahr will die „Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE)“ erstmals Zwischenergebnisse veröffentlichen. Doch mit deren Überprüfbarkeit hapert es gewaltig.

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Jochen Stay

Jochen Stay, Jahrgang 1965, ist seit seinem 15. Lebensjahr aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, seit Wackersdorf 1985 in der Anti-Atom Bewegung und seit 2008 Sprecher von .ausgestrahlt.

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