EU-Generalanwalt empfiehlt: Teuerstes AKW aller Zeiten bauen!

15.05.2020 | Jan Becker

Wird das britische Atomkraftwerk Hinkley Point tatsächlich fertig gestellt werden, sollte es das teuerste Kraftwerk aller Zeiten werden. Weil es bessere Alternativen gibt, zogen Atomkraftgegner*innen vor den Europäischen Gerichtshof. Nun beruft sich der Generalanwalt auf ein völlig veraltetes Atomabkommen und empfiehlt, den Protest abzuschmettern.

Hinkley_Point__EDF__KOSTENFREI_1000.jpg
Foto: EDF
Hinkley Point: Juristisch unklar, dennoch eine gigantische Baustelle

Am Standort Hinkley Point in Großbritannien werden zwei neue Atomkraftwerke errichtet. Die Meiler sind vom Typ „Europäischer Druckwasserreaktor“ und haben eine Leistung von jeweils 1.600 Megawatt. Der Baustart von Block 1 war am 11. Dezember 2018, als der erste Beton für das Reaktorgebäude gegossen wurde. Im Dezember 2019 sind die Bauarbeiten für den zweiten Block offiziell aufgenommen worden. Die Kosten stiegen schon vor Baubeginn von ursprünglich 20,72 Milliarden Euro drastisch an und haben nun knapp 26 Mrd. Euro erreicht. Damit ist schon heute klar: Hinkley Point wird das teuerste Kraftwerk aller Zeiten.

Nur mit massiver staatlicher Unterstützung

Dass der Bau eines neuen AKW sehr teuer wird und sich der Betrieb nicht rechnet, war schon vorher abzusehen. Doch die britische Regierung argumentierte mit einem angeblichen „öffentlichen Interesse“. Wegen der extrem hohen Kosten, die den Betrieb der Meiler unter regulären Bedingungen noch unwirtschaftlicher machen, wurden im Vorfeld massive staatliche Unterstützung beantragt. Die Europäische Kommission genehmigte 2014 drei Beihilfen: Einen Fixabnahmevertrag über 35 Jahre zum überhöhten Strompreis von 92,5 Pfund (ca. 100 Euro) pro Megawattstunde, einer Kreditgarantie über 17 Milliarden Pfund (ca. 20 Milliarden Euro) sowie der Entschädigungszusage, falls zukünftige Regierungen das Kraftwerk früher schließen lassen wollten.

Diese Zusagen sind nach Ansicht von Kritiker*innen eine ungerechtfertigte Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Strommarkt der EU. Schließlich stehen wesentlich günstigere Alternativen wie Erneuerbare Energieträger zur Verfügung – die durch diese unrechtmäßigen Subventionen massiv benachteiligt werden. Österreich und Luxemburg zogen vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und reichten im Juli 2015 eine Nichtigkeitsklage gegen die genehmigten Beihilfen ein. Der EuGH lehnte die Klage im Juli 2018 ab, woraufhin Österreich am 21. September 2018 Rechtsmittel einlegte und die Aufhebung des Urteils beantragte.

Generalanwalt: EURATOM-Vertrag habe „gleichen Rang“

Auch diese Rechtsmittel solle der EuGH abweisen, empfiehlt jetzt der Generalanwalt Gerard Hogan. Dessen Ansicht ist zwar nicht bindend, sie gilt aber als Entscheidungsvorschlag, wenn der EuGH über Österreichs Klage entscheiden wird. Der Generalanwalt bedient sich als Grundlage seiner Beurteilung dem Parallel-Vertrag EURATOM aus dem Jahr 1957. Dieser formuliert bekanntlich „die massive Entwicklung von Atomkraft“ als „notwendiges Ziel“ für Europa – und macht keinerlei Einschränkungen für staatliche Subventionen für die Hochrisikotechnologie.

Der EURATOM-Vertrag stünde „in gleichem Rang“ zu dem Lissabonner Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, so Hogan. Die Entwicklung der Atomkraft sei „ein klar definiertes Ziel des Unionrechts“, und dieses Ziel könne anderen wie etwa dem Umweltschutz „nicht untergeordnet sein“. Zudem habe jeder Mitgliedstaat das Recht, zwischen verschiedenen Energiequellen zu wählen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung selbst zu bestimmen. Deshalb halte er es für „angemessen“, der Argumentation Österreichs nicht zu folgen. Hogan unterstellt vielmehr einen Grundsatzstreit zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen der Atomenergie. Beide würden die Regelwerke zu ihren Gunsten interpretieren und für ihren Weg „Umweltschutzziele“ in Anspruch nehmen.

Dass sich neue Atomkraftwerke ohne finanzielle Unterstützung gar nicht rechnen, nimmt auch Generalanwalt Hogan zur Kenntnis: „Der Markt war entweder nicht willens oder sogar nicht in der Lage, das Vorhaben Hinkley Point C ohne die vom Vereinigten Königreich gewährten Garantien oder Beihilfen anderer Art zu finanzieren“, schreibt er in seiner Beurteilung.

Hinkley Point ist ein Grundsatzstreit

Bei Hinkley Point handelt es sich um einen wegweisenden Grundsatzstreit. Einerseits werden damit die Weichen für die Energieträger der Zukunft gestellt: gehört Atomenergie mit Blick auf den Klimaschutz dazu, oder nicht. In der EU gibt es dazu heftigen Streit. Andererseits schielen schon heute andere EU-Staaten wie Ungarn, die Slowakei oder Tschechien auf die Ergebnisse des Prozesses. Alle wollen selbst neue Meiler bauen, die sich nur mit massiver staatlicher Unterstützung umsetzen lassen.

„In Zeiten der Klimakrise braucht es den Einsatz von jedem einzelnen Cent Steuergeld auf effizienteste, schnellste, zuverlässigste und sauberste Weise. Das Monster-Projekt Hinkley Point kann alle diese Punkte ganz klar nicht erfüllen“, warnt Dr. Reinhard Uhrig, Atom-Sprecher der österreichischen Organisation GLOBAL 2000.

EURATOM abschaffen!

Auch in politischen Kreisen wachsen die Zweifel daran, ob der EURATOM-Vertrag noch zeitgemäß ist. Angekündigt wurde eine Überarbeitung des Regelwerks, allerdings keine grundlegende inhaltliche Reform. Bleibt es bei den bisherigen Ankündigungen, würde statt echte Klimaschutz-Alternativen zu beschleunigen, die Förderung der gefährlichen und teuren Atomtechnik zementiert werden, warnen Kritiker*innen. „Wir wollen keine EU-Förderung für neue Atomkraftwerke“, steht allerdings im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung. Dass der uralte EURATOM-Vertrag offenbar gigantische Fehlentscheidungen wie den Bau des teuersten Kraftwerks aller Zeiten mit Folgeprobleme wie Super-GAU-Risiko und Atommülldesaster ermöglicht, zeigt den dringenden Handlungsbedarf auf.

.ausgestrahlt setzt sich sich dafür ein, dass der EURATOM-Vertrag abgeschafft wird. Er stammt aus einer atom-freundlichen Zeit, die längst überwunden ist.

Europa ohne Atom: EURATOM abschaffen!
Beteilige dich am Protest und fordere die Bundesregierung auf, alle nötigen Schritte auf den Weg zu bringen, dass der EURATOM-Vertrag von einem Atom-Förder- zu einem Atomausstiegs-Vertrag wird. Die EU und Euratom dürfen Atomkraft nicht länger fördern! zur Mitmach-Kampagne „EURATOM abschaffen“


.ausgestrahlt-Podcast: Hintergrund und Alternativen zu EURATOM

weiterlesen:

  • Das teuerste Kraftwerk der Welt stoppen
    06.09.2018 - Wegen eines angeblichen „öffentlichen Interesses“ soll der Bau des neuen Atomkraftwerks Hinkley Point C in Großbritannien massive staatliche Unterstützung erhalten. Das Interesse hinter den wirtschaftlich absurden AKW-Bauten ist aber offenbar die Atombombe. Österreich will erneut vor Gericht ziehen.

  • AKW-Projekte ausgraben: Darf es kosten, was es will?
    19.06.2018 - Zwei AKW-Neubauprojekte sollen wiederbelebt werden, obwohl sie in der Vergangenheit schon mehrfach gescheitert sind. Immer fehlte es an Geld. Die Situation auf dem Weltmarkt hat sich nicht "gebessert", sondern im Gegenteil verschärft. Darf ein AKW kosten, was es will?

  • Das EPR-Fiasko
    18.06.2018  - Die Bauverzögerung im finnischen Olkiluoto, wo nach Willen der Atomlobby ein „Vorzeige-AKW“ gebaut werden soll, beträgt nach einer Korrektur der Planungen mindestens ein Jahrzehnt. Zeit für einen Schlußstrich.

Quellen (Auszug): energate-messenger.de, global2000, nuklearforum.ch

« Zur Blogübersicht
Jan Becker Profil-Bild

Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

blog via e-mail abonnieren
RSS-FEED
Blog als RSS-FEED abonnieren.
abonnieren »