Putins Gas- und Atomkraft-Lobbyisten hochaktiv in Brüssel

19.05.2022 | Eva Stegen
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Foto: Eva Stegen

Russische Energiekonzerne wie Gazprom, Lukoil und Rosatom nutzten Lobby-Verbindungen, um die Aufnahme von fossilem Gas und Atomenergie in die EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen zu beeinflussen. Mit dem grünen Etikett wollen sie Putins Kriegskasse füllen. Greenpeace Frankreich zeigt in einer Studie die Lobby-Verbindungen auf, deren verschachtelte Strukturen an russische Matrjoschka-Puppen erinnern.

Seit die Europäische Kommission im März 2018 ihren Aktionsplan für nachhaltige Finanzen veröffentlichte, haben sich russische Energieunternehmen mindestens 18 Mal mit EU-Kommissaren und hochrangigen Beamten getroffen. Eine neue Greenpeace-Studie zeichnet die Verschachtelungs-Strukturen nach und legt offen, wie Gazprom, Lukoil und Rosatom entweder direkt oder über Tochtergesellschaften und Lobbygruppen ihren Einfluss organisierten. Der Eifer der russischen fossilen und atomaren Konzerne erklärt sich über die Aussicht, mithilfe eines „grünen" Labels für Atomkraft und fossiles Gas noch mehr EU-Milliarden nach Russland kanalisieren zu können.

Greenpeace rechnet vor, dass Russland durch einen an der Taxonomie ausgerichteten Ausbau der Gas-Kraftwerkskapazitäten jährlich 4 Milliarden Euro zusätzlich verdienen könnte. Das entspricht 32 Milliarden Euro zusätzlich bis 2030. Nicht nur der Taxonomie-getriebene Gas-Boom würde Milliarden in Putins Kriegskassen spülen. Auch eine Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie würde es dem staatlichen russischen Atomkonzern-Konglomerat Rosatom, mit seinem engen Beziehungs-Geflecht zur europäischen Atomindustrie, ermöglichen, sich einen Anteil an geschätzt 500 Milliarden Euro potenzieller Investitionen in neue EU-Atomkraftwerks-Kapazitäten zu sichern. Der zivil-militärische Komplex Rosatom wurde 2007 von Präsident Putin per Gesetz gegründet und untersteht direkt dem Kreml. Er umfasst mehr als 360 Unternehmen, welche die gesamte Palette vom Uranbergbau über Kernbrennstoffproduktion, Forschung, Bau und Betrieb von AKW, Atomwaffen, atomar betriebener Kriegsschiffe und Eisbrecher abdecken.

Die Studie zeigt, dass Russland einer der Hauptnutznießer der umstrittenen Aufnahme von Erdgas und Atomkraft in die Liste der nachhaltigen Investitionen der EU sein würde. So würde Wladimir Putin zusätzliche Verhandlungsmacht gegenüber der EU zugeschanzt und Russland bekäme mehr Geld für seinen Krieg gegen die Ukraine.

Europas Atom-Abhängigkeit von Russland

Im Deutschlandfunk erklärte die Geschäftsführerin des Ökoinstituts, Anke Herold, erst kürzlich, dass die europäische Abhängigkeit von Russland bei Atomkraftwerken und bei der Nukleartechnologie noch stärker ist als bei Gas oder Öl. Putin hat mit Rosatom gezielt eine strategische Position aufgebaut. Außerhalb des eigenen Landes baut Russland russische Atomreaktoren, die nach demselben Prinzip wie bei Kaffeekapseln oder Druckerpatronen für jahrzehntelange Abhängigkeiten vom Hersteller sorgen. So verwundert es nicht, dass sich gerade die EU-Länder mit russischer Reaktortechnik für eine Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie einsetzen oder das Flugverbot für russische Maschinen aushebeln, um auch noch nach Kriegsbeginn russische Brennelemente einfliegen zu lassen. Die Einfuhren von russischem Uran und anderen nuklearen Dienstleistungen sowie die von Erdgas und Gasturbinen sind bisher von den EU-Sanktionen gegen Russland ausgenommen, welche als Reaktion auf den Überfall auf die Ukraine verhängt wurden. Russland liefert derzeit 45% des europäischen Gases und 20% des angereicherten Urans. Zahlreiche Atomkraftwerke sind von russischem Brennstoff abhängig, nicht nur in Osteuropa. Außerdem werden Wartungsdienstleistungen für 18 Atomkraftwerke russischer Bauart in der EU von Russland erbracht. Dazu lagert Russland große Mengen radioaktiver Abfälle aus der EU, z.B. aus Frankreich, Deutschland und Bulgarien.

Die Greenpeace-Studie listet eine Reihe europäischer Firmen auf, die mit dem Rosatom-Netzwerk verwoben sind. Auch die Rosatom-Verbindungen nach Deutschland sind pikant. Zur russischen Einflusssphäre gehört neben der Urananreicherungs- und umstrittenen Atommüll-Wertstoff-Connection mit ‚Urenco‘ auch die deutsche Rosatom-Tochter ‚NUKEM Technologies GmbH‘. Diese hat zwei Geschäftsführer, einen russischen und einen deutschen. Letzterer ist auch Vorstandsvorsitzender des Lobbyverbands ‚Kerntechnik Deutschland e.V.‘ . In dieser Funktion wandte er sich im März 2022 mit der Forderung nach "Weiterbetrieb deutscher Kernkraftwerke“ an den Bundeskanzler und an die Presse. Es ist derselbe Verband, der schon 2008 unter dem Namen ‚Deutsches Atomforum‘ eine PR-Firma beauftragt hatte, die Stimmung vor der Wahl 2009 zugunsten von Laufzeitverlängerungen zu kippen.

Die deutsche Rosatom-Tochter ‚NUKEM Technologies‘ ist als Mitglied des Vereins ‚Internationaler Wirtschaftssenat e.V.‘ im EU-Lobby-Transparenz-Register aufgeführt, der als „NGO“ die Interessen seiner Unternehmensmitglieder in Brüssel vertritt. Ein Verbot für europäische Lobby- und PR-Firmen, im Auftrag russischer Firmen in Brüssel zu lobbyieren, wurde von den EU-Regierungen abgelehnt.

Rosatom übte seinen Einfluss auf die Taxonomie auf allen Ebenen der europäischen Atomindustrie aus. Ins Auge fallen auch die engen Verbindungen zu Frankreichs staatlichem Energiekonzern EDF und über ein Joint Venture zu finnischen Unternehmen zum Bau des AKW Hanhikivi 1. Die Finnen haben den Vertrag mittlerweile gekündigt. Rosatom beeinflusste auch als Vorstandsmitglied der ‚World Nuclear Association‘ den Taxonomie-Prozess. Der Staatskonzern trat u. a. als Platinsponsor der Weltnuklearausstellung 2021auf, als der EU-Energiekommissar Kadri Simson die Hauptrede hielt.

Anhand von Daten aus dem EU-Transparenzregister und anderen offenen Quellen dokumentiert der Greenpeace-Bericht, wie die drei Unternehmen Rosatom, Gazprom und Lukoil über Tochtergesellschaften, Joint Ventures und Industrieverbände den EU-Taxonomie-Prozess mit Hilfe von Lobbytechniken beeinflussten und – wie bei den verschachtelten Matrjoschka-Puppen – über zahlreiche Kanäle und unter verschiedenen Namen auftraten. Rosatom, Gazprom und Lukoil setzten sich dafür ein, dass Gas und Atomkraft das EU-Label für Nachhaltigkeit erhalten, womit Putins geopolitische Macht gestärkt und die EU auf Jahrzehnte hinaus noch abhängiger von russischer Energie wird.

Wie geht’s weiter?

Im Juni werden die zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments in einer gemeinsamen Sitzung über die Taxonomie-Klassifizierung von Atomkraft und Erdgas als “nachhaltig” abstimmen - der Wirtschafts- und Finanzausschuss zusammen mit dem Umweltausschuss. Die Abstimmung im Plenum des Parlaments ist für Anfang Juli geplant.

Eine absolute Mehrheit der Abgeordneten kann den fossilatomaren Greenwash-Plan der Kommission ablehnen. Diese Möglichkeit erscheint immer wahrscheinlicher, weil inzwischen auch zahlreiche konservative Abgeordnete die Taxonomie-Pläne ablehnen.

Die Aktivisten von Fridays for Future haben für den 21. Mai 2022 zu einem europäischen Aktionstag aufgerufen, um gegen dieses Greenwashing von Erdgas und Atomkraft zu protestieren. Auch darüber hinaus kannst Du aktiv werden: Kontaktiere Deine*n nächstgelegene*n EU-Abgeordnete*n und fordere ihn oder sie auf: „Retten Sie die Taxonomie – Stimmen Sie gegen das Greenwashing von Gas und Atomkraft!“

weiterlesen:

  • Ukraine-Krieg bringt Urangeschäfte in Bewegung
    11.03.2022: Als Antwort auf den Angriff auf die Ukraine hat die Betreiberfirma der Urananreicherungsanlage Gronau die Uran-Geschäfte mit Russland gestoppt. Atomkraftgegner*innen warnen unterdessen davor, dass in den von Kämpfen betroffenen ukrainischen Meilern Brennstoff aus Deutschland verwendet wird - und fordern einen umgehenden Exportstopp.
  • Russische Atom-Diplomatie gefährdet Sicherheit Europas
    10.03.2022: Nicht nur Gas-, Kohle- und Öl-Importe gefährden die Versorgungssicherheit Europas. Auch bei der Atomkraft bestehen Abhängigkeiten von Russland, deren diplomatische Auswirkungen schon jetzt sichtbar sind. Die Aufnahme von Atomkraft in die EU-Taxonomie würde diese noch verstärken.

  • EU-Taxonomie analysiert: Yellow Deal statt Klimaschutz
    05.01.2022: Nach langem Streit will die EU Atomkraft und Gas zukünftig als ‚grün‘ klassifizieren. Damit wird der angestrebte ‚Green Deal‘ durch einen dreckigen ‚Yellow Deal‘ ersetzt – zu Lasten von Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Eine Analyse.

  • FAQ: Fragen und Antworten zum Atomkraft- und Gas-Streit im Zusammenhang mit der EU-Taxonomie findest Du unter ausgestrahlt.de/eu-taxonomie

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Eva Stegen

Eva Stegen engagiert sich für die Energiewende, privat als Bloggerin und beruflich als Energiereferentin der EWS Schönau. Sie ist Co-Autorin der Informationsschrift „Das Desaster der europäischen Atomwirtschaft“ Mitglied der Nuclear Consulting Group.

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