Vom Anti-Atom-Protest zum Siegeszug der Erneuerbaren

02.09.2022 | Bernward Janzing
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Foto: pexels.com

Wie Atomkraftgegner*innen aus Südbaden die Energierevolution mit lostreten

Der Slogan in Wyhl hieß in schönstem Alemannisch „Nai hämmer gsait“. Aber die Winzer*innen vom Kaiserstuhl, die Studierenden aus Freiburg und all die vielen Bürger*innen der Region sagten nicht nur „Nein“ zum Plan des Badenwerks, ein Atomkraftwerk am Oberrhein zu bauen. Sie sagten auch „Ja“ zu den Alternativen.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1976, im Jahr nach der Bauplatzbesetzung in Wyhl. Noch sind die Reaktorpläne nur auf Eis gelegt, noch ist das AKW nicht endgültig verhindert. Aber die Situation verschafft den Atomkraftgegner*innen bereits Luft, sich um Alternativen zu bemühen.

Einer der Vordenker ist der Elektriker Werner Mildebrath. In Sasbach nahe Wyhl betreibt er ein kleines Elektrogeschäft, auf dem besetzten AKW-Bauplatz hat er sich der Lautsprecher-Technik angenommen. Als er im Radio von einem Sonnenkollektor hört, der in den USA gebaut wurde, macht er sich an die Arbeit; er biegt Kupferrohre und Kupferbleche zurecht, malt diese schwarz an und baut einen Kasten darum.

Dadurch sensibilisiert ruft der Bund für Umwelt und Naturschutz gemeinsam mit den badisch-elsässischen Bürgerinitiativen die Sasbacher „Sonnentage“ ins Leben. So kommt es im Mai 1976 auf dem Hof der Winzergenossenschaft Sasbach zur seinerzeit weltgrößten Messe für erneuerbare Energien – mit immerhin zwölf Ausstellern.

Nach diesem Auftakt beginnt Mildebrath in einer Halle in Sasbach mit der Fertigung von Solarkollektoren. Das Geschäft floriert; bald gibt es in dem kleinen Winzerdorf 24 Anlagen Marke Mildebrath auf den Dächern. Eine solche Dichte von Solaranlagen ist zu dieser Zeit vermutlich einmalig weltweit.

Auch in den Jahren 1977 und 1978 finden die Sasbacher Sonnentage statt. Nachdem es anfangs alleine um Solarwärme geht, wird 1978 erstmals auch Photovoltaik gezeigt. Die Zellen kommen noch aus den USA.

Die Solarmesse strebt bald nach Höherem und zieht 1980 nach Freiburg. Dort entwickelt sie sich unter dem schlichten Namen „Öko“ zur zeitweise größten Umweltmesse Europas. In ihrer Tradition steht später auch die „Intersolar“, die anfangs in Freiburg stattfindet, dann aber so groß wird, dass sie 2008 nach München umziehen muss.

Auch das Öko-Institut ist eine Gründungsgeschichte aus dem Umfeld des Wyhl-Widerstands. Die Atomkraftgegner*innen suchen damit eine Lücke zu füllen: Es fehlt an Wissenschaftler*innen, die fundiert über Details der Atomkraft sprechen können, zugleich aber unabhängig und nicht mit der Atomwirtschaft verbandelt sind. 27 Ingenieur*innen, Physiker*innen, Chemiker*innen, Jurist*innen und Theolog*innen gründen im November 1977 das Öko-Institut. Dieses prägt anschließend auch den Begriff „Energiewende“ – als Titel eines Buches, das 1980 erscheint.

Schließlich gründet 1981 der Physiker Adolf Goetzberger in Freiburg das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) und macht mit weltweiter Spitzenforschung die Region endgültig zur Solarregion. Ohne Wyhl wäre sie das in diesem Stil nie geworden.

Weltweit wurden 2020 mehr als 300 Milliarden US-Dollar in erneuerbare Energien investiert, Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 256 Gigawatt gingen neu ans Netz. An diesem Siegeszug hat auch die Anti-Atom-Bewegung ihren Anteil.

Dieser Text erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 55 (Juni/Juli/August 2022)

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Bernward Janzing

Bernward Janzing hat Geografie, Geologie und Biologie studiert und arbeitet seit mehr als 20 Jahren als freier Journalist und Buchautor in Freiburg. Er schreibt für Tageszeitungen, Publikums- und Fachmagazine vor allem über die Themen Energiewirtschaft und Klimaschutz. Seine jüngsten Bücher handeln von der Historie der modernen Solarenergie („Solare Zeiten“), sowie vom Aufstieg und Niedergang der Atomkraft im deutschsprachigen Raum („Vision für die Tonne“).

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