AKW Grohnde: Gutachten stärkt Klage gegen Weiterbetrieb

20.01.2017 | Jan Becker

Stürzt ein großes Flugzeug in das Atomkraftwerk Grohnde, droht ein Kernschmelzunfall. Gutachterin Oda Becker untermauert die Forderungen von Atomkraftgegner*innen, die gegen den Weiterbetrieb des niedersächsischen Meilers klagen.

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Foto: publixviewing.de
Protest in Grohnde: Profit vor Sicherheit

Flugzeugabstürze oder terroristische Angriffe auf das AKW könnten in kurzer Zeit zu so hoher Freisetzung von radioaktiven Material führen, dass Anwohner*innen tödlich bedroht sind. Die Physikerin Oda Becker unterstützt die Forderung nach sofortiger Stilllegung des Reaktors mit einem aktuellen Gutachten, das am vergangenen Freitag in Hannover vorgestellt wurde. Ihren Berechnungen hat sie die besonders große Verkehrsmaschine Airbus A380 zugrunde gelegt. Als mit dem Bau des AKW Grohnde 1976 begonnen wurde, existierten solche Flugzeuge noch nicht - und wurden damit auch nicht für mögliche Katastrophenszenarien berücksichtigt.

Grundlage von Beckers neuer Beurteilung sind Gutachten der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) zu Flugzeugabstürzen auf AKW von 2002, die nach den Anschlägen auf die Twin-Towers in New York erstellt worden waren. Zudem zog sie eine vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) nach dem GAU von Fukushima erstellte Studie über radioaktive Freisetzungen nach großen Unfällen in deutschen AKW heran. Doch schon die erste Untersuchung lieferte Ergebnisse, die bei allen damals noch betriebenen deutschen AKW u.a. mangelhaften Schutz vor Flugzeugabstürzen belegten. Die BfS-Studie empfiehlt zudem eine vollständige Überarbeitung der Katastrophenschutzpläne und bis dahin vorgesehene Massnahmen bei einem schweren Reaktorunfall. Evakuierungsradien müssten ausgeweitet werden, in viel größerem Umfang Jod-Tabletten für Anwohner*innen vorgehalten werden.

Doch Becker geht in ihrer aktuellen Untersuchung noch weiter: „Durch einen zufälligen oder gezielt herbeigeführten Absturz eines Großflugzeu­ges kann es zu fünfmal höheren Freisetzungen und einer sehr viel schnelleren Ausbreitung kom­men. Diskutiert wird heute die Evakuierung im Nahbereich innerhalb von 6 Stunden nach einem Unfall, aber selbst dafür gibt es noch keine Planung. Wir reden hier aber von einer Ausbreitung innerhalb von 2-3 Stunden.“ Hintergrund: Durch das brennende Kerosin aus dem Flugzeug würde fünfmal so viel Radioaktivität freigesetzt wie bei einem Zwischenfall ohne Flugzeug.

Anwohner*innen klagen gegen AKW-Betrieb

Seit Oktober 2015 klagen Anwohner*innen aus Grohnde und Boden­werder gegen den Weiterbetrieb des AKW, das nach derzeit geltenden Gesetzen noch bis Ende 2021 am Netz bleiben darf. Sie sehen sich durch den Reaktor bedroht. Gutachterin Becker gibt ihnen Recht: Eine rechtzeitige Evakuierung werde „voraus­sichtlich nicht erfolgen“, die Strahlendosen seien jedoch so hoch, „dass der Kläger selbst im Gebäude eine tödliche Dosis erhalten kann.“

Einer von zwei Kläger*innen, Hans-Peter Leiding aus Grohnde, appelliert nun an das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, endlich die Hauptverhandlung zu eröffnen. In diesem Zusammenhang müsse das Umwelt­ministerium auch alle Akten über Berechnungen von Flugzeugabstürzen auf AKW herausgeben, fordert Leidig. In der Vergangenheit waren viele dieser Unterlagen als „geheim“ eingestuft worden. Es hätte „weitere Berechnungen“ gegeben, Bundesregierung und Umweltministerium halten diese Daten aber zurück.

In Deutschland ist ein Paradigmenwechsel erforderlich

Grundsätzlich entspricht das Atomkraftwerk Grohnde „nicht den heutigen Sicherheitsanforderungen an Atomkraftwerke“, unterstreicht Oda Becker. Selbst die international üblichen „periodischen Sicherheitsüberprüfungen“ (PSÜ) finden im AKW Grohnde nicht mehr statt. Die Landesbehörden und Betreiber fällen die Entscheidung hinsichtlich der erforderlichen Maßnahmen im Hinblick auf die verbleibende Betriebszeit und hinter verschlossenen Türen. Anders als für den nach Fukushima angeordneten „Stresstest“ gedacht, erfolge die Implementierung der Maßnahmen in einem „ganz und gar nicht transparenten Prozess“. Der Umfang der erfolgten oder noch durchzuführenden Maßnahmen sei „schwer zu bewerten“, so Becker.

„Die Bevölkerung und die Politik haben ein Recht darauf zu erfahren, welche Defizite die Atomkraftwerke aufweisen. Sie sollten auch wissen, welche Nachrüstungen technisch möglich sind und welche davon als wirtschaftlich angemessen erachtet werden, um sie vor einem schweren Unfall und möglichen gesundheitlichen Auswirkungen und langfristigen Umsiedlungen zu bewahren“, fordert Oda Becker.

Auch wenn der Atomausstieg beschlossen ist: In Deutschland sei im Umgang mit der Atomenergie und im Atomgesetz ein „Paradigmenwechsel“ erforderlich – von einem (wirtschaftlichen) Schutz der AKW Betreiber zu einem Schutz der Bevölkerung.

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Quellen (Auszug): grohnde-kampagne.de, haz.de, wikipedia.org; 16.1.2017

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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