Gutachten: Atomfabriken Gronau und Lingen dürfen stillgelegt werden

17.11.2017 | Jan Becker

Laut neuer Rechtsgutachten im Auftrag der scheidenden Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wäre die Stilllegung der AKW-Brennstoff-Fabriken in Gronau und Lingen nicht verfassungswidrig. Bislang sind die Anlagen vom "Atomausstieg" ausgeklammert. Wegen des Zeitpunkts für die Veröffentlichung der Gutachten ist Hendricks aber aus der Verantwortung. Atomkraftgegner*innen fordern nun Taten von der kommenden Regierungskoalition.

Uranzugblockade in Gronau 5.10.17
Foto: P. Numrich
Ankettaktion am 5.10.2017: Massive Proteste für die Stilllegung der Atomfabriken

„Mit hoher Wahrscheinlichkeit“ hätte eine politisch angeordnete Schließung der Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau und der Brennelemente-Fertigung im niedersächsischen Lingen vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand - nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Betriebsende des letzten deutschen Atomkraftwerks 2022. Ein entsprechendes Gesetz stelle „keine verfassungswidrige Enteignung der Betreiber“ dar, heißt es in dem Gutachten des Kieler Verfassungsrechtlers Wolfgang Ewer. Mit internationalen Verträgen sei sogar eine „entschädigungslose Beendigung der Urananreicherung“ vereinbar, „soweit sie ein Risiko für Menschen und Umwelt darstellt“, analysiert Sabine Konrad, Partnerin der Kanzlei McDermott Will & Emery in einem zweiten Gutachten. Die Verfasser*innen empfehlen ein Gesetz nach Vorbild des Atomausstiegs, in dem bekanntlich Übergangsfristen vereinbart wurden.

Atomkraftgegner*innen begrüßen die neuen Rechtsgutachten. Sie stützen unsere Rechtsauffassung und sind nun „ein klarer Handlungsauftrag an die Jamaika-Sondierer in Berlin sowie die betroffenen Landesregierungen in NRW und Niedersachsen“, so Udo Buchholz vom Vorstand des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und zugleich Mitglied des örtlichen Arbeitskreises Umwelt (AKU) Gronau.

Hendricks ist aus der Verantwortung - Gutachten ohne Wert?

Der Zeitpunkt für die Veröffentlichung der brisanten Gutachten erscheint nicht zufällig. In Berlin verhandeln CDU, CSU, FDP und Grüne über die kommende Regierungskoalition. Die Stilllegung der Atomfabriken ist kein Bestandteil der Verhandlungen. Im Gegenteil spricht sich zum Beispiel der Bundestagsabgeordnete Karlheinz Busen (FDP) klar für den Erhalt der Anlage in Gronau aus, die Urananreicherung dürfe „nicht mit dem Ausstieg aus der Kernenergie vermischt werden“.

Die SPD wird künftig auf die Oppositionsbank verwiesen - Hendricks Gutachten hat jetzt also nicht mehr Wert als eine politische Stellungnahme.

Folgerichtig heißt es jetzt von Hendricks: „Eine Beendigung der Brennelemente-Fertigung in Deutschland würde zu einer konsistenteren Linie in der deutschen Atomausstiegspolitik führen. Es bleibt der politischen Willensbildung innerhalb der Bundesregierung überlassen, ob sie diesen Weg gehen will.“

Während ihrer vierjährigen Amtszeit gab es zwar eine rechtlich nicht bindende Empfehlung der Umweltministerkonferenz im Juni 2016 für eine Schließung der Anlagen, es folgten aber keine Taten. Bis auf den Auftrag für die beiden jetzt veröffentlichten Rechtsgutachten.

10 Prozent des Weltbedarfs stammt aus NRW

Aktuell verfügen die Atomfabriken an der Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen über unbefristete Betriebsgenehmigungen. Sie können rund 10 Prozent des weltweiten Bedarfs an Atombrennstoff decken und etwa 35 große AKW vollständig versorgen. Beliefert werden Risiko-Reaktoren wie die im belgischen Doel und Tihange. Zu den Kunden gehören ebenso die störanfälligen französischen Meiler Cattenom und Fessenheim oder AKW in der Ukraine.

„Wir erwarten nun von den Jamaika-Parteien, dass sie die Stilllegung der beiden letzten Atomanlagen in Deutschland einleiten, für die bislang kein verbindliches Ausstiegsdatum festgelegt wurde“, fordert Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen.

Es sei „völlig unverständlich“, warum Hendricks in den letzten Jahren politisch so wenig getan habe in Sachen Urananreicherung und Brennelementeproduktion, so die Aktivist*innen, die regelmäßig mit Protesten auf diese Missstände aufmerksam machen. Seit langem wird ein Aus für Uranexporte sowie die Stilllegung der beiden Atomfabriken gefordert. Im Atomausstiegsgesetz nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima seien Lingen und Gronau „vergessen“ worden.

weitere Infos:

  • Gronau: Beton im Gleisbett
    12.10.2017 - Mit einer Doppel-Blockade wurde ein Urantransport in die Anreicherungsanlage in Gronau (UAA) gestoppt. Die Aktivist*innen protestieren erneut für die sofortige Stilllegung der Brennstoff-Fabrik.

  • Deutsche Uranfabriken: Wie sieht der Stilllegungsfahrplan aus?
    20.06.2016 - Am vergangenen Freitag formulierte die Umweltministerkonferenz (UMK) die Forderung an die Bundesregierung, die Urananreicherungsanlage Gronau und das Brennelementewerk Lingen zu schließen. Was fehlt, ist ein konkreter und gesetzlich verankerter Zeitplan.

  • Gronau: Urenco will „so lange wie möglich“ AKW-Brennstoff produzieren
    11.06.2015 - In einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ erklärt Helmut Engelbrecht, Chef von URENCO, Betreiberin der einzigen Urananreicherungsanlage Deutschlands, er wolle diese umstrittene Anlage zeitlich unbefristet weiter betreiben. AtomkraftgegnerInnen kritisieren das scharf.

Quellen (Auszug): wn.de, taz.de, scharf-links.de, rp-online.de, bmub.bund.de; 16./17.11.2017

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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