Mars, Mond & Arktis: Nukleare Seifenblasen platzen

27.08.2019 | Jan Becker

Kürzlich hat das weltweit erste schwimmende Atomkraftwerk Kurs auf seinen Bestimmungsort in der Arktis genommen. In wenigen Jahren will Amerika mit Atomreaktoren Stationen auf dem Mond und dem Mars betreiben. Die atomaren Pläne werden immer absurder. Das scheiterte schon öfter - wenn es nicht kosten darf, was es wolle.

Atomschiff Otto Hahn
Foto: Bundesarchiv / Engelbert Reineke
Zivile Atomschiffe: Atomare Seifenblasen der 60er Jahre

Atomauto, Atomschiff, Atomflugzeug - in den 1950/60er Jahren schien nichts unmöglich. Doch der Traum vom Atomauto war schnell ausgeträumt, über ein Modell kam der reaktorbetriebene „Ford Nucleon“ nie hinaus. Anders bei Schiffen: 1968 lief mit der deutschen „Otto Hahn“, nach dem sowjetischen Eisbrecher „Lenin“ und der amerikanischen „Savannah“, das dritte zivile Atomschiff der Welt zu seiner ersten Fahrt aus. Es galt damals als Symbol einer „strahlenden Zukunft“. 33 Häfen wurden besucht, hauptsächlich in Südamerika und Afrika, die meisten nur einmal durch eine Ausnahmegenehmigung. Eine Passage durch den Suez- oder den Panamakanal wurde dem Atomschiff verwehrt. Wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit musste es 1979 stillgelegt werden, der Reaktor wurde in Hamburg ausgebaut.

Trotz dieser und anderer Ansätze, weitere Reaktor-Frachtschiffe zu bauen, hat sich der Atomantrieb außer als Eisbrecherantrieb in der zivilen Schifffahrt nicht durchgesetzt. Anders beim Militär, wo unterstellt werden darf, es kann „kosten, was es will“ und braucht sich in den wenigsten Fällen „wirtschaftlich beweisen“: Atomreaktoren kommen in U-Booten oder Flugzeugträgern zum Einsatz, 1960 nahm die USA den ersten Atom-Flugzeugträger, die USS „Enterprise“, in Dienst, das damals größte Schiff der Welt. Gegenwärtig besitzen sechs militärische Großmächte Atom-U-Boote.

Besonders im kalten Krieg baute Russland unzählige Atom-U-Boote, deren spätere Verschrottung ist ein ökologisches Desaster. 29 Reaktoren, teilweise mit Uran-Brennstoff, sollen nahe der Insel Nowaja Semlja im Nordpolarmeer versenkt worden sein. Ein großes Zwischenlager mit Atomschrott befindet sich in Murmansk. Die Lagerbedingungen sind eine Katastrophe, 1982 versickerten beispielsweise Hunderte Tonnen stark radioaktives Wasser im Erdreich. „So verseuchte Plätze findet man sonst nirgendwo auf der Welt“, sagen Umweltschützer*innen. Die Folgekosten des atomaren Wettrüstens zur See wurden mithilfe eines Projekts der Anrainerstaaten der Ostsee, die radioaktive Verseuchung befürchten, international verteilt: Gemeinsam wurde in den letzten Jahren ein „Langzeitzwischenlager“ in Murmansk gebaut. Deutschland ist mit 600 Millionen Euro beteiligt.

„Schwimmendes Tschernobyl“

Viele Jahre später setzt Russland angeblich völlig neue Maßstäbe. Die „Akademik Lomonossow“, eine 21.000 Tonnen schwere, schwimmende Plattform mit zwei 35-Megawatt-Reaktoren wurde nach neunjähriger Bauzeit im Mai 2018 eingeweiht. Eigentümer ist der staatliche russische Energiekonzern Rosatom (es darf wieder "kosten, was es wolle"). Im Hafen von Murmansk sind zuletzt Uranbrennstäben geladen worden, kürzlich nahm das weltweit einzige „schwimmende AKW“ mithilfe von Schleppern Kurs auf das Nordpolarmeer zum Bestimmungsort Pewek im Nordosten Sibiriens. Dort sollen „entlegene Gebiete mit Energie versorgt werden“, Rosatom setzt aber auch auf die Versorgung von Ölbohrplattformen in der Nähe. Ausgerechnet der Klimawandel, den die Atomlobby bekanntlich mit ihren Atomkraftwerken bekämpfen will, dient als Argument für das schwimmende AKW: Rosatom will „künftige Projekte zur Erschließung von Bodenschätzen“ in der Arktis, die durch die fortschreitende Erderwärmung begünstigt werden, flexibel mit Strom versorgen. Es geht also um viel Geld - und um massive Umweltzerstörung. „Es ist ein bedeutender Beitrag für die Zukunft der Arktis“, so Rosatom-Chef Alexej Lichatschow. Russland träumt nun vom Export der AKW, eine kleinere Version sei bereits „in Planung”.

Atomkraftgegner*innen warnen vor einem „schwimmenden Tschernobyl” oder der „nuklearen Titanic”. Der AKW-Ponton werde zwar von Schiffen und Flugzeugen des Militärs begleitet, ein vollständiger Schutz vor äußeren Bedrohungen sei aber „unmöglich“, so Vladimir Sliwjak von der russische Umweltschutzorganisation Ecodefence. Seebeben, Tsunamis und extreme Kälte könnten für das Atomkraftwerk gefährlich werden. Unklar sei auch, wie schnelle Hilfe bei einem Reaktorunfall in die entlegenen Regionen kommen soll. Rosatom weist alle Zweifel zurück, die Risiken seien „beherrschbar“, das AKW „nahezu unsinkbar“.

Am Rande: Neben den Expansionsplänen in der Arktis soll die „Akademik Lomonossow“ aber in erster Linie - wenn auch völlig überdimensioniert - das alte AKW Bilibino ersetzen, das seit Mitte der 70er Jahre im Nordosten Sibiriens betrieben wird. Dort kommen vier weltweit einzigartige, graphitmoderierte „EGP-6-Reaktoren“ mit jeweils 11 Megawatt zum Einsatz. Das Kraftwerk ist auf Permafrostboden errichtet worden, der wegen der Erderwärmung stetig auftaut. So ist neben der Alterung die Standfestigkeit der Reaktoren nicht gesichert. Häuser stehen hier auf Stelzen, damit sie sich nicht auf dem Permafrostboden bewegen und Risse bekommen, wenn die oberste Bodenschicht im Sommer auftaut.

Atomreaktoren für Mond & Mars

Laut Teammitgliedern des Projekts „Kilopower“, einem Kooperationsprojekt der NASA und des US-Energieministeriums, ist die Atomenergie nur „wenige Jahre von ihrem Weg ins Weltraumzeitalter entfernt“. Dann würden Reaktoren zum Mond und zum Mars entsendet, um so „längere Aufenthalte auf Planetenoberflächen zu ermöglichen”. Auch in der Raumfahrt gilt in der Regel: Es darf kosten, was es wolle - wirtschaftlich beweisen muss es sich nicht.

Die Risiken solcher Experimente sind zudem sehr hoch: Explodiert eine Rakete mit einem Atomreaktor an Bord schon beim Start, wird der enthaltene Spaltstoff großflächig über die Erde verteilt. Weil die Fehlerquote bei Raketenstarts relativ hoch ist, ist die Idee, aus dem Mond ein zentrales Atommülllager zu machen, sehr schnell wieder verworfen worden.

Nukleare Seifenblasen platzen

Zu Beginn des Atomzeitalters in den 50er Jahren wurde nicht nur prognostiziert, dass der Strom künftig „to cheap to meter“ (zu günstig, um zu messen) sein werde. Die Ingenieure entwarfen neben immer größeren Atombomben auch zahlreiche Anwendungen für die „zivile Nutzung“. Hiroshima und Nagasaki entblößten die Wahrheit über die menschenvernichtende Atomwaffentechnologie. Der Weg von der Bombe zum Reaktor ist kurz, weil die Technik zur Herstellung des Spaltstoff die gleiche ist. Staaten betreiben bis heute Atomprojekte, um ihre Machtstellung in der Welt zu beweisen. Dazu zählt auch das „schwimmende Tschernobyl“.

Zahlreiche Atomunfälle, die in schwere Katastrophen wie Harrisburg, Tschernobyl oder Fukushima gipfelten, führten der Bevölkerung das Risiko durch Atomreaktoren vor Augen. Sobald sich die Nuklearprojekte auf dem Markt behaupten müssten, würden sie scheitern. In der ganzen Welt arbeiten Atomkraftwerke nicht wirtschaftlich, sondern politisch-ideell angetrieben und hochsubventioniert. Vergessen werden darf auch nicht, dass immer Atommüll produziert wird - für den kein Land der Welt eine „sichere Lösung“ anzubieten hat. Gründe genug, weshalb Atomkraft keine Zukunft hat.

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    08.08.2019 - Eine aktuelle Berechung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die absolute Bankrott-Erklärung für alle Atomkraftwerke. Die Meiler dienen weder dem Klimaschutz, noch laufen sie, um Energie herzustellen.

  • Bau neuer AKW ist „politisch motiviert“
    16.05.2019 - Der kürzlich veröffentlichte Report „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle die Atomkraft künftig in der Weltstromerzeugung und fürs Klima spielt. Der Bau neuer AKW sei „politisch motiviert“, denn künftige Meiler seien wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig, sagen die Expert*innen.

Quellen (Auszug): heise.de, welt.de, de.wikipedia.org, zeit.de, ndr.de, atommuellreport.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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