„Ich halte die Übung für völlig unrealistisch“

15.11.2017 | Jan Becker

Die Behörden rund um das Atomkraftwerk Gundremmingen haben einen schweren Störfall simuliert - und sind mit dem Ablauf „zufrieden“. Ganz anders Atomkraftgegner*innen: die Szenarien seien unrealistisch und die geplanten Maßnahmen um die Bevölkerung zu schützen würden nicht funktionieren.

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Solange in Deutschland Atomkraftwerke laufen, sind die Behörden verpflichtet, Katastrophenschutzübungen durchzuführen. Dabei sollen „reale Unfallszenarien“ durchgespielt werden, bei denen Werkschutz, Feuerwehr, Atomaufsicht und Spezialkräfte zusammenarbeiten. Neben Bränden auf dem Kraftwerksgelände werden auch Terrorangriffe oder die fiktive Freisetzung von Strahlung geprobt.

Teilweise finden diese Übungen „in echt“ statt. Im AKW Krümmel zum Beispiel probte die Werkfeuerwehr kürzlich die Bekämpfung eines Brandes im Zwischenlager, in dem sich die hochradioaktiven Castor-Behälter befinden. Mit Theaterrauch wurden bestimmte Bereiche verqualmt, die Feuerwehrmänner mussten unter Atemschutz in die Gebäude gehen. Gutachter vom TÜV waren bis auf Kleinigkeiten „insgesamt zufrieden“.

Alle sind „zufrieden“

Von der Katastrophenübung am AKW Gundremmingen in Bayern hingegen konnte die Bevölkerung nicht viel sehen. Denn die Szenarien fanden ausschließlich auf Computerbildschirmen statt. Es ging um die Frage: Wie sieht die Kommunikation unter den Behörden aus, wenn es wirklich einen Störfall im AKW geben sollte. Wer alarmiert wen? Wer spricht mit wem? Wer kümmert sich wann worum? Am Ende waren auch hier alle Beteiligten „zufrieden“.

Übungen sind „völlig unrealistisch“

Auf dem Papier ist das alles schön und gut, aber funktioniert das wirklich in der Praxis? fragen Atomkraftgegner*innen. Was tatsächlich bei einem schweren Störfall in einem Atomkraftwerk passiert, sei „kaum kalkulierbar“. Deshalb seien die Übung „völlig unrealistisch“, urteilt Raimund Kamm, Vorsitzender der Bürgerinitiative (BI) Forum am AKW Gundremmingen. Die Lehren aus dem Unglück in Fukushima seien „noch nicht richtig angekommen“. Die Katastrophenpläne entsprechen hinsichtlich der Evakuierungsradien um die AKW nicht den Empfehlungen der Strahlenschutzkommission. Fukushima habe gezeigt, dass sich die Radioaktivität weiter verteilen kann als ursprünglich angenommen.

Der Knackpunkt sei, so Kamm, dass die Bevölkerung derzeit „nicht richtig vorbereitet“ sei. Deshalb fordert die Bürgerinitiative einen „offenen Dialog zwischen der Regierung, Atomkraftwerk-Betreibern und der Bevölkerung.“ Jeder müsse sich real mit dem Thema auseinandersetzen. Der Feueralarm in einer Schule sei ein Beispiel: „Das wird jedes Jahr mehrmals von Lehrer und Schülern geübt, dass eben jeder weiß, wie die Abläufe sein müssen.“

Doch das Ganze hat einen Haken: Würden die Behörden tatsächlich eine Massenevakuierung tausender Menschen um ein Atomkraftwerk unter realen Bedingungen proben, würde das nicht nur Schwachstellen im Katastrophenschutzplan offenbaren. Man würde damit die reale Bedrohung durch die Reaktoren, den möglichen Verlust von Hab und Gut, die Tatsache, dass bestimmte Regionen jahrzehntelang verstrahlt sein würden, direkt vor Auge führen. Das würde mit Sicherheit nicht zu mehr Vertrauen oder Zuspruch für den Weiterbetrieb der Anlagen führen.

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Quellen (Auszug): augsburger-allgemeine.de, br.de, ln-online.de; 7./10./14.11.2017

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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