Frankreich: EDF rutscht noch tiefer

26.09.2019 | Jan Becker

Die Atomgeschäfte brechen dem französischen Energieversorger das Genick: Nach massiven finanziellen und technischen Problemen im Inland wird auch das Prestige-Projekt in England zu einem Debakel. Doch statt der Atomtechnik den Rücken zu kehren, will der Staatskonzern nun „Mini-Meiler“ bauen.

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Foto: BBC World Service
EdF-Reaktorbaustelle in Finnland

Von Anfang an wurde das Projekt „Hinkley Point C“ an der Südwestküste von England massiv kritisiert. Erstmals seit 20 Jahren und zum ersten Mal seit der Katastrophe im japanischen Fukushima sollte in der Europäischen Union wieder ein neues Atomkraftwerk gebaut werden. Zwei Reaktoren waren geplant, eine „wichtige strategische Entscheidung“, erklärte der ehemalige britische Wirtschaftsminister Greg Clark. England versprach sich eine neue Welle an Investitionen in die Nukleartechnik. Der britischen Wirtschaft sollte Hinkley Point einen „immensen Schub“ geben.

Doch es kam alles anders. Zunächst sollte der erste Reaktor schon 2012 ans Netz gehen, Verzögerungen traten jedoch schon zum frühen Zeitpunkt auf. Es wurde immer deutlicher, dass sich ein neues AKW wirtschaftlich nicht rechnen würde, daher wurden massive staatliche Subventionen zugesagt. Hinzu kamen Zusagen für einen garantierten Stromabnahme-Preis über Jahre hinweg – quasi eine „Lizenz zum Gelddrucken“. England versprach dem Baukonsortium, darunter als Hauptinvestor EdF, 14 Milliarden Euro britischer Staatsbeihilfen. Die Bedingung war indes, dass der erste Meiler Ende wenigstens 2020 fertiggestellt sei.

Wegen Ausbesserungsarbeiten wird der Betriebsstart nun erst Ende 2022 erwartet. Expert*innen warnen deshalb vor einer „drohenden Finanzierungskrise“. David Toke, Energieprofessor an der Universität Aberdeen, sieht jetzt drei Möglichkeiten: Den Verzicht auf die Bedingung, auf die Gelder – oder das Ende des gesamten Projekts. Die erste Variante sei im Übrigen die wahrscheinlichste. EDF fehle es massiv an Geldern, der Schuldenberg betrage 37 Milliarden Euro. Kürzlich meldete EDF, dass Hinkley Point C „bis zu 2,9 Milliarden Pfund“ (3,2 Milliarden Euro) teurer werde als gedacht – die Gesamtkosten sind derzeit mit 21,5 bis 22,5 Milliarden Pfund angegeben. Grund für die zusätzlichen Kosten seien „hauptsächlich auf schwierige Bodenverhältnisse zurückzuführen“. Die Aktien des französischen Versorgers fielen daraufhin um sieben Prozent auf ein Zwei-Wochen-Tief von unter 10 Euro.

Aufgeben würde man das Projekt wohl schon deshalb nicht, weil es im Übrigen nur nachrangig der Stromversorgung diene, so Toke. Vielmehr sei es eine britisch-französische Kooperation im Rüstungsgeschäft, um kleine Reaktoren für das Militär zu entwickeln.

Mini-AKW statt Abschied von der Risikotechnik

EDF, der US-AKW-Hersteller Westinghouse und das französische Kommissariat für Atomenergie und alternative Energien (CEA) haben bei der Generalversammlung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Gemeinsam wird beabsichtigt, „Mini-Reaktoren“ auf den Markt zu bringen. Dabei gehe es um „small modular reactors“ (SMR) mit einer Leistung von 300 bis 400 Megawatt. Statt Großbaustellen wie in Hinkley Point würden diese „Modularen Reaktoren“ in einer Fabrik vorproduziert und dann am Standort nur noch fertig montiert. Dabei würden die Kosten angeblich „moderat“ bleiben, erklärten die Partner. Von einer Marktreife sei der SMR allerdings noch sehr weit entfernt, das Start für das erste modulare Kraftwerk ist für 2026 im US-Bundesstaat Utah geplant.

Trotz der aufgezählten Probleme – nicht alle sind hier genannt – setzt Frankreich also weiter auf Atomkraft. Nicht nur die gesundheitlichen, sondern auch die finanziellen Risiken trägt in jeder Hinsicht der/die Steuerzahler*in. Für den produzierten Atommüll, der auch in „SMR“ entsteht, gibt es überdies ebenfalls keine Lösung – diese Last tragen die kommenden Generationen.

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Quellen (Auszug): handelsblatt.com, mensch-und-atom.org, energate-messenger.de, de.reuters.com, iwr.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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