Nur auf dem Papier

19.12.2019 | Armin Simon

Reaktorexperte Christoph Pistner über Propaganda und Realität neuartiger Reaktorkonzepte und warum auch Transmutation, selbst wenn sie je großtechnisch funktionieren sollte, das Atommüllproblem nicht löst.

Herr Pistner, neuartige Atomreaktoren, so kann man in letzter Zeit in vielen Medien lesen, sollen angeblich nicht mehr gefährlich sein und obendrein noch unseren ganzen Atommüll unschädlich machen können. Stimmt das?

Nein. Die meisten der Konzepte, die da diskutiert werden, sind eigentlich Entwicklungen, die bereits in den 1940er, 1950er, 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts diskutiert wurden. Keines dieser Systeme ist auch nur annähernd marktreif, zumeist sind sie noch nicht einmal technisch verfügbar. Und wir sehen auch überhaupt nicht, dass eines dieser Systeme alle Probleme der Atomkraftnutzung grundsätzlich lösen würde.

Der letzte Hype in dieser Richtung ist der sogenannte „Dual Fluid Reaktor“, den eine kleine Firma aus Berlin ersonnen hat …

Der gehört zu den Salzschmelze-Reaktoren – Konzepten also, die in den USA schon in den 1960er-Jahren einmal betrachtet worden sind –, mit einem kleinen Unterschied, weil er zwischen Kühl- und Brennstoffkreislauf noch unterscheidet. Detaillierte Analysen zu genau diesem Reaktorkonzept liegen uns nicht vor. Aber dass es eines wäre, das konkreter vor der Realisierung stünde oder realistischer wäre als die anderen unter dem Schlagwort „Generation IV“ diskutierten Systeme, das sehe ich nicht.

Was ist denn überhaupt von der Idee zu halten, neue Reaktoren zu nutzen, um Atommüll unschädlich zu machen?

Die Grundidee, den abgebrannten Brennstoff fein säuberlich in seine unterschiedlichen Bestandteile aufzutrennen, um dann zumindest einen Teil der langlebigen Nuklide sortenrein in geeigneten Reaktoren in kurzlebigere Nuklide zu verwandeln, ist keineswegs neu. Das Atommüll-Problem vollständig lösen wird das aber nicht.

Warum nicht?

Die Verfahren kommen typischerweise nur für einen Teil der Abfälle überhaupt in Frage. Andere, etwa die in Glaskokillen eingeschmolzenen hochradioaktiven Rückstände aus der Wiederaufarbeitung und die in den abgebrannten Brennstoffen enthaltenen langlebigen Spaltprodukte, bleiben außen vor. Ein tiefengeologisches Atommüll-Lager wird also durch Transmutation in keinem Fall überflüssig. Auch wird es sowohl bei der Auftrennung des Mülls als auch der Umwandlung im Reaktor immer technologische Verluste geben.

Das bedeutet?

Dass am Ende selbst von den Bestandteilen des Atommülls, die ich auf diese Weise eliminieren will, noch ein relevanter Anteil übrig bleiben dürfte. Denn die Effektivität solcher Verfahren ist noch völlig offen – alle diese Technologien existieren nur auf dem Papier oder bestenfalls im Labormaßstab.

Für die Auftrennung des Atommülls wären in jedem Fall Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) nötig – die dreckigsten und gefährlichsten Atomanlagen, die wir kennen. Atomkraft-Fans preisen nun ein neues Verfahren, angeblich unter anderem erforscht mit Mitteln des Wirtschaftsministeriums.

Auch das ist keine neue Idee: Die bisher üblichen wässrigen Wiederaufarbeitungsverfahren arbeiten schlicht nicht trennscharf genug. Die angedachten elektrochemischen Verfahren aber, das muss man ganz klar sagen, existieren noch nicht. Im kerntechnischen Bereich sind sie bisher noch nirgendwo großtechnisch eingesetzt worden. Es gibt theoretische Untersuchungen und kleine Versuche im Labormaßstab, aber nicht mal eine Prototyp-Anlage.

Die hochradioaktiven Stoffe müssten, um sie auf diese Weise zu trennen, in heiße, aggressive Chlorsalze umgewandelt werden – klingt nicht gerade ungefährlich.

Aus guten Gründen gibt es das ja für radioaktive Abfälle bisher auch nicht. Wenn man gerade die besonders radiotoxischen Stoffe großtechnisch abtrennen will, muss man auch mögliche Unfallgefahren genauestens untersuchen, um zu sehen, wo schwere Unfälle möglich sind. Dies gilt für die Trenn-Verfahren, aber natürlich vor allem auch für die Transmutationsreaktoren.

Neben bisher nur auf dem Papier existierenden Reaktorkonzepten verweisen Atomlobbyist*innen dafür gern auf sogenannte „schnelle Brüter“.

Auch die als schnelle Brüter bezeichneten Reaktoren sind keine kommerziell verfügbare und etablierte Technologie, schon gar nicht als Transmutationsreaktor. Selbst das „Generation-IV-Forum“ sieht in seinem 2018 durchgeführten letzten Update zum Forschungs- und Entwicklungs-Bedarf noch erheblichen Entwicklungsaufwand.

Wie erklären Sie sich, dass die Idee solch angeblicher Wunderreaktoren medial gerade wieder so viel Widerhall findet?

So eine Welle an Schlagzeilen kommt leider immer wieder: Anfang der 2000er war das so, dann Anfang der 2010er und jetzt eben wieder. Die tatsächlich erzielten Fortschritte bei der Entwicklung der Reaktorkonzepte allerdings sind jeweils relativ gering.

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Dr. Christoph Pistner, Diplom-Physiker, leitet den Bereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit beim Öko-Institut e.V. in Darmstadt und ist Mitautor einer Studie zu neuen Reaktorkonzepten und Transmutation

Interview: Armin Simon

Dieses Interview erschien ursprünglich im Magazin Nr. 45, Ende 2019
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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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