Bagger in der Asse bei Abladung von Atommüllfässern
Foto: Helmholtzzentrum München

Tickende Zeitbombe

Mitte der 1960er Jahre sammelte sich im Kernforschungszentrum Karlsruhe und an anderen Orten in Deutschland immer mehr Atommüll. Nach wissenschaftlicher Beratung kam die Politik zu dem Schluss, ihn in das gerade vor der Stilllegung stehende Kali- und Steinsalz-Bergwerk Asse II bei Wolfenbüttel in Niedersachsen zu bringen. Jahrelang kippten AKW-Betreiber ihren Atommüll nahezu unkontrolliert in den Schacht – seit 2010 ist die Rückholung der etwa 126.000 Fässer geplant. Das stetig einlaufende Wasser macht die Asse II jedoch zu einer tickenden Zeitbombe.

Eine  wissenschaftliche  Untersuchung, ob Asse II für radioaktive und chemotoxische Abfallstoffe geeignet wäre, fand selbst nach damaligen Standards nur sehr oberflächlich statt. Nur wenige der von den  Wissenschaftler*innen  damals angedachten Untersuchungen wurden durchgeführt, da der „Entsorgungsdruck“ in Karlsruhe immer stärker wurde.

Von April 1967 bis Ende 1978  wurde Atommüll sowie darin enthaltener chemotoxischer Müll in Asse II verbracht. Anfangs waren es kleinere Mengen an Fässern. Doch 1976 wurde im Atomgesetz festgeschrieben, dass für Atommüll-„Endlager“ ein Planfeststellungsverfahren notwendig sei. Für Asse II war dies bis dahin nicht durchgeführt worden. Da aufgrund der Ungeeignetheit dieses Bergwerks auch keine Aussicht auf eine entsprechende Genehmigung bestand, schufen Behörden und Wissenschaftler*innen einfach Tatsachen – die angelieferten Mengen an Atommüll explodierten. Jeder versuchte, noch all seinen Atommüll nach Asse II zu karren. Zwischen Weihnachten und Silvester 1978 erreichten die Atommüll-Transporte ihren Höhepunkt.

Flüssigkeit, wo nur trockener Müll hätte sein dürfen

Ablieferer waren nicht nur bundeseigene Forschungsanstalten wie Karlsruhe und die Medizin, wie Politik und  Wissenschaft  gegenüber der kritischen Bevölkerung immer wieder behaupteten. Hauptsächlich wurden Abfälle aus Leistungsreaktoren eingelagert, deren Inventar heute über 70 Prozent der Aktivität in Asse II ausmacht.  Das  Einhalten der Annahmebedingungen für Asse II wurde vom Betreiber des Bergwerks, einer 100-prozentigen Tochter des Bundes, weder überprüft noch bei trotzdem festgestellten Verstößen ernsthaft gerügt. Obwohl nur „trockener und gebundener“ Atommüll entgegengenommen werden durfte, gab es immer wieder Kontaminationen durch das Auslaufen von Fässern.

Der  angelieferte Asse-II-Atommüll wurde anhand der Strahlung an der Außenseite der Fässer kategorisiert. Auf den Inhalt kam es also nicht an; bei ausreichend dicker Wandstärke konnte vielmehr alles Mögliche in die Fässer gefüllt werden. Zudem gab es für die  maximalen Dosisleistungen eine erhebliche Quote an Ausnahmeregelungen. Das ist der Grund für die 14.779 betonummantelten Fässer im „schwachradioaktiven“ Abfall, deren Radioaktivität denen der „mittelradioaktiven“ Fässer größtenteils ebenbürtig ist, wenn nicht  sogar deutlich  übertrifft. Auf die Spitze trieb es Siemens mit Planungen, ein 200-Liter-Fass auf der Innenseite mit 16 Zentimetern Blei auszukleiden, so dass ein Nutzvolumen von nur noch 16 Litern – aber für entsprechend stark strahlende Stoffe – zur Verfügung gestanden hätte.

Auch wurde auf eine Dokumentation der Inhaltsstoffe vollständig verzichtet. Explizit angegeben werden musste lediglich, ob Plutonium enthalten sei – aber auch dann ohne Mengenangabe.

Raus kommt der Müll – so oder so.

Während der früheren Salzgewinnung in Asse II wurde das Salz in den großen Abbaukammern bis auf wenge Meter an das Deck- und Nebengebirge heran abgebaut. Einige der Schächte unter Tage verlassen an ihrem oberen Ende bereits die Salzformation und enden im Nebengebirge.1988 gab diese dünne, verbliebene Salzbarriere nach, die vor Wasser schützende Gipsschicht darüber zerbrach. Seit damals laufen täglich etwa 12.000 Liter Lauge in das Bergwerk. Der Betreiber behauptete bis 2006, dieses Wasser sei eine alte Blase „Urwasser" aus der Entstehungszeit der Salzschichten und hätte keinen Kontakt zur Biosphäre. Doch die Bürgerinitiativen konnten 2006 anhand der radioaktiven Inhaltsstoffe der Lauge nachweisen, dass sie erst nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl als Regen zur Grundwasserbildung beigetragen hatte und zum damaligen Zeitpunkt also  „jünger“ als 20 Jahre war. Somit war klar, dass es eine direkte Verbindung vom Atommüll zurück in die Biosphäre gibt.

Seit 2010 ist die Rückholung des Atommülls geplant. Anfang 2013 beschloss der Bundestag ein fraktionsübergreifendes Gesetz zur Beschleunigung der komplizierten Planungs- und Genehmigungsarbeiten. Die Bergung wird - sofern sie am Ende nicht aus technischen Gründen scheitert - noch viele Jahre dauern. Die Kosten belaufen sich Schätzungen zufolge auf vier bis sechs Milliarden Euro. Genau weiß das jedoch niemand.

Diese Erkenntnis und der Druck aus der Bevölkerung führten zur Anerkennung der Forderung der Bürgerinitiativen,  dass  der  Atommüll nicht in Asse II verbleiben kann. Landes- und Bundespolitik sowie der neue Betreiber versammelten sich hinter der Aussage, dass der ganze Müll wieder herausgeholt werden muss.

Probleme der Rückholung

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), seit 2009 der Betreiber der havarierten Atommüllkippe, hat jetzt den Arbeitsauftrag, diese Rückholung durchzuführen. Dabei türmt es zurzeit mehr Fragen und Probleme auf, als es schafft abzuarbeiten. „Notfallarbeiten“, die bei einem langsamen Absaufen des Bergwerks die Belastung der Biosphäre verringern sollen und dem umstrittenen Flutungskonzept des alten Betreibers extrem stark ähneln, werden schnell umgesetzt. Doch  die  Bürgerinitiativen zweifeln zum einen an der Wirksamkeit der Notfallarbeiten und zum anderen daran, dass das Bergwerk tatsächlich langsam absäuft. Viel wahrscheinlicher ist nämlich, dass Asse II binnen vier Stunden unter Wasser stehen wird – und für diesen Fall sind die Notfallmaßnahmen ungeeignet. Stattdessen werden durch diese  Arbeiten vor den  Atommüllkammern befindliche Drainagestellen in Gefahr gebracht. In ihnen sammeln sich täglich 37  Liter kontaminierte Lauge aus den Atommüllkammern und werden abgepumpt. Kann diese radioaktive  Lauge vor den Kammern nicht mehr abgepumpt werden, ist das die Flutung der Atommüllkippe im Kleinen.

Udo Dettmann, www.asse2.de

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75 Prozent der Asse-Strahlung aus AKW-Betrieb

90 Prozent der gesamten Strahlung in der Asse (211.000 Curie) stammen aus der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe (WAK). Somit kommen defakto 63 Prozent des radioaktiven Inventars in der Asse vom AKW Obrigheim, neun Prozent vom AKW Gundremmingen.

Asse: Herkunft des Atommülls nach Anteilen der radioaktiven Strahlung

Weitere drei Prozent der Strahlung in der Asse stammen von radioaktiv kontaminierten Betriebsabfällen aus acht AKW: 5.505 Fässer aus dem AKW Obrigheim (EnBW), 4.738 Fässer aus dem AKW Würgassen (Eon), 3.423 Fässer aus dem AKW Gundremmingen (RWE/Eon), 1.399 Fässer aus dem AKW Stade (Eon/Vattenfall), 1.381 Fässer aus dem AKW Lingen (RWE/E.on), 809 Fässer aus dem AKW Brunsbüttel (Vattenfall/Eon), 143 Fässer aus dem AKW Biblis (RWE) sowie 38 Fässer aus dem AKW Unterweser (Eon).

Asse II - Zahlen und Fakten

• Offizielle Bezeichnungen bis 2008: „Versuchsendlager“,  „Forschungsendlager“, „Forschungsbergwerk“
• Atommüll-Fässer: 125.787
• Enthaltenes Plutonium: 28,9 Kilogramm
• Atomrechtliches Genehmigungsverfahren als Atommüll-Lager: keines
• Erste Hinweise auf eindringendes Wasser: 1963
• Einlagerung des Atommülls: 1967–1978
• Seit 1988 eindringende Wassermenge, pro Tag:  ca. 12.000 Liter
• Strahlung in Asse II, die aus AKW stammt: > 85%
• Geplante Rückholung des Atommülls: ab 2033
• Geschätzte Kosten (2013): ca. 4–6 Mrd. €
• Von Steuerzahler*innen zu tragen: 100%

Quelle: Das Atommüll-Desaster, .ausgestrahlt, April 2015

Impressionen aus der Asse

alle Fotos von Alexander Tetsch

Broschüre: Das Atommüll-Desaster

Beispiele des Scheiterns: In dieser Broschüre werden exemplarisch Standorte vorgestellt und das fortdauernde Atommüll-Desaster über alle Stufen der Atom-Prozesskette abgebildet - vom Uran-Bergbau über die Urananreicherung, den AKW-Betrieb, den Abriss von Atomanlagen bis zu gescheiterten "Endlager"-Projekten.

A4, 24 Seiten

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