Anti-Atom-Radtour: Von Speyer über Philippsburg nach Karlsruhe

17.08.2022 | Armin Simon
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Foto: Willy Pragher

Auf der 4. Etappe der Anti-Atom-Radtour geht es zum AKW Philippsburg, wo erst nach 32 Jahren Betrieb grobe Mängel aufgefallen sind sowie zum Kernforschungszentrum in Karlsruhe.

Hinweis: Dieser Artikel wird während der Tagesetappe mehrfach aktualisiert.

Philippsburg – Pfusch am Bau

Nahezu seine gesamte Betriebszeit weist das AKW Philippsburg‑2 nicht den vorgeschriebenen Schutz gegen Erschütterungen auf: Weil wichtige Leitungen nicht richtig befestigt waren, hätte im Ernstfall die Notkühlung ausfallen und es im Reaktor zur Kernschmelze kommen können. 32 Jahre lang fällt das niemandem auf. Und es ist nicht das einzige Sicherheitsdefizit, das jahrelang unbemerkt bleibt.

2020 werden die Kühltürme der beiden Reaktoren – Block 2 ist seit Ende 2019 vom Netz, Block 1 schon seit 2011 – gesprengt; an ihrer Stelle soll ein Konverter für eine Nord-Süd-Stromleitung entstehen. Das Standort-Zwischenlager soll bis 2024 fünf Castor-Behälter aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague aufnehmen. Die Gemeinde und der Betreiber wehren sich dagegen. Das „Karlsruher Bündnis für sichere Verwahrung von Atommüll“ befasst sich unter anderem mit dem Abriss-Schutt des AKW.

Karlsruhe – Zentrum der Reaktorforschung

Das Kernforschungszentrum Karlsruhe ist das Zentrum der bundesdeutschen Reaktorentwicklung (‣ Kasten). Prototypen aller möglichen Reaktoren, Brüter und sogar eine kleine WAA werden hier gebaut; auch der Schnelle Brüter Kalkar ist eine Karlsruher Erfindung. Neben zahlreichen Atomruinen erinnert das größte Lager schwach- und mittelradioaktiver Abfälle der Bundesrepublik an diese Zeit. Bis heute findet auf dem heutigen „Campus Nord“ des Karlsruhe Institute of Technology (KIT) vereinzelt Reaktorforschung statt. Vor allem aber am benachbarten „Joint Research Center“ der EU-Kommission finanzieren die EU und Euratom Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für Reaktoren der „Generation IV“ und dafür benötigte neue Brennstoffe. Das „Karlsruher Bündnis gegen neue Generationen von Atomreaktoren“ macht diese Forschung und ihre Gefahren öffentlich und streitet für ihr Ende.

Der Förster aus dem Kernkraftwald

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Foto: privat
Zu seinen Vorträgen brachte er meist ein Stück Stacheldraht mit, vom Bauplatz des AKW Wyhl (siehe Etappe 19). So, sagte Wilhelm Knobloch und zeigte sein scharfkantiges Beweisstück vor, setzen Staat und Energiekonzerne ihr Atomprogramm durch: Gegen den Willen der Bevölkerung.
Dass es „undemokratisch“ zugehe mit der Atomkraft, nicht offen und mit guten Argumenten, sondern mit Tricks und Lügen, das treibt den Förster aus dem Karlsruher Hardtwald schon zwei Jahrzehnte vor Wyhl und damit früher als alle anderen um. Um ein Haar wäre Mitte der 1950er der Knobloch anvertraute Wald den bundesdeutschen Atomplänen zum Opfer gefallen. Doch sein Revier war selbst den Reaktorbauern noch zu nah an der Stadt. Für die Karlsruher „Reaktorstation“ fallen so die Bäume ein paar Kilometer weiter.
Aber waren die Tabak- und Spargelbauern dort weniger schutzbedürftig? Knobloch, der über Radioansprachen Albert Schweizers von der Strahlengefahr und der Anreicherung radioaktiver Stoffe über die Nahrungskette erfährt, textet mit einer Handvoll Bekannten das erste Flugblatt gegen einen deutschen Atommeiler. Bald nehmen atomkritische Fachleute Kontakt mit ihm auf.
Das Kernforschungszentrum Karlsruhe wird zur Wiege der bundesdeutschen Reaktorentwicklung: Reaktoren, heiße Zellen, Atommülllager, Schnelle Brüter entstehen. Eine Versuchs-Wiederaufarbeitungsanlage hinterlässt hochradioaktive „Atomsuppe“. Parallel dazu treten die Karlsruher Experten überall als Propagandisten der Atomtechnik auf.
Knobloch ist ihr Gegenspieler. Er berichtet von Baumschäden in der Nachbarschaft des Reaktors, von der Atommüllverklappung auf der Dorfdeponie, vom Plutonium im Sediment des vom Forschungszentrum als Vorfluter genutzten Baches. Von unzulässig hohen Strahlenwerten am Zaun. Und er hält den Atomforschern ihre eigenen Aussagen und Versprechungen vor – jede Zeitungsnotiz darüber hat er archiviert.
So ernst nimmt die Atomlobby ihn, dass die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung (DWK), die einen Standort für ihre WAA sucht, den „Förster aus dem Kernkraftwald“ in einem eigenen Flugblatt diffamiert, das sie überall, wo er auftritt, der Zeitung beilegen lässt. Die Karikatur zeigt einen Förster, der auf Strahlenzeichen an Bäumen schießt. „Und er trifft“, kommentiert Knobloch zufrieden.
Der Abriss der Karlsruher Reaktoren verschlingt Milliarden, das Atommülllager im Wald ist das größte bundesweit. Deutschlands dienstältester Atomkraftgegner stirbt am 1. November 2021 im Alter von 97 Jahren, vierzehn Monate vor Abschaltung der letzten AKW in Deutschland.
Armin Simon
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Foto: Ökobuch Verlag

Mehr solcher Porträts und eine umfassende Chronik der Anti-Atom-Bewegung findest Du im von .ausgestrahlt zum Abschaltjahr 2022 mit herausgegebenen und frisch erschienenen Buch „Atomkraft – nein danke. 50 Jahre Anti-AKW-Bewegung. Eine Geschichte erfolgreichen Widerstands“ (ökobuch Verlag, 272 Seiten, mit 480 Fotos von Günter Zint u.a., 28 €)

 

 

Impressionen von Etappe 4: Von Speyer bis Karlsruhe

Aktionen und Programm am 17. August

10:30 Uhr
Kurze Kundgebung: AKW Philippsburg,
Rheinschanzinsel, 76661 Philippsburg

15:45 Uhr
Kurze Kundgebung am Kernforschungszentrum (KIT)

17:00 Uhr
Karlsruhe Marktplatz - Begrüßung der Radfahrer*innen

19:00 Uhr
Filmabend in der Kinemathek:
Film "nuclear family" von Erin und Travis Wilkerson. Zu Gast: Stefan Lau und Friedrich Erbacher (.ausgestrahlt).

19:00 Uhr
Bunter Abend im Mikado
Kanalweg 52, 76149 Karlsruhe

Weitere aktuelle Infos zur Radtour, Aktionen und Programm unter: ausgestrahlt.de/radtour

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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