Vor 50 Jahren unterzeichneten Deutschland und Brasilien ein Abkommen zur umfassenden Zusammenarbeit beim Aufbau einer eigenständigen brasilianischen Atomindustrie. Während Deutschland inzwischen alle AKW abgeschaltet hat, gilt das Abkommen noch immer. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland den Vertrag kündigt.
Am 27. Juni 1975 unterzeichneten Deutschland und das aufstrebende Brasilien ein Atomabkommen. Die beiden Länder vereinbarten, dass Deutschland Technologie für den Bau von acht Atomkraftwerken in Brasilien liefern sollte. Im Zuge dieses Technologietransfers sollte auch Know-how zur Urananreicherung und zur Wiederaufbereitung von Atommüll vermittelt werden. Für die deutsche Atomwirtschaft war dies ein riesiges Geschenk, denn das Abkommen mit einem Volumen von 12 Mrd. DM war bis dahin der größte Exportdeal der westdeutschen Geschichte.1
Für die Regierung Schmidt bot es vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosenzahlen die Möglichkeit, sich für den Erhalt von Arbeitsplätzen einzusetzen. Dass in Brasílien eine Militärjunta regierte, spielte dabei offenbar keine Rolle.
Nur Bruchteil realisiert
Der brasilianische Nuklearkomplex „Central Nuclear Almirante Álvaro Alberto“ (CNAAA) liegt in einer Bucht an der Atlantikküste zwischen Rio de Janeiro und São Paulo, mitten im brasilianischen Küstenurwald. Der Reaktor Angra 1, gebaut vom US-Konzern Westinghouse, ging 1982 in Betrieb. Im Jahr 2000 folgte Angra 2, der baugleich ist zum deutschen AKW Grafenrheinfeld. Er sollte der Einzige von ursprünglich acht geplanten Reaktoren bleiben, die mit deutscher Hilfe gebaut werden sollten. Und selbst das gelang nur mit großen Problemen. Falsche Berechnungen des Auftragnehmers Siemens/KWU führten 1992 zur Unterbrechung des Baus. Weil das Küstengebiet erdbebengefährdet und der Baugrund instabil ist, mussten 40 Meter tiefe Pfeiler in den Sand gegraben werden, auf die der Reaktor gesetzt wurde. Die Baukosten stiegen auf etwa zehn Milliarden US-Dollar, erst nach 25 Jahren war der Reaktor fertig.2
Angra 3 erwies sich als noch größeres Fiasko: Er wurde nie fertiggestellt. Seit Baubeginn im Jahr 1986 ist die Baustelle des AKW von technischen Problemen, Korruptionsskandalen und ungeklärter Finanzierung geprägt. Der World Nuclear Industry Status Report (WNISR) listet den Bau als „aufgegeben“.
Weitere AKW wurden im Rahmen des deutsch-brasilianischen Atomabkommens nicht gebaut. Die ambitionierten Ausbaupläne verwarf man schnell: Bereits 1994 entschied die brasilianische Regierung, nur zwei der ursprünglich vereinbarten acht deutschen Reaktoren fertigzustellen – am Ende blieb es bei einem.
Urananreicherungsanlage Resende
Gebaut wurde allerdings eine Urananreicherungsanlage in Resende, die auf der Zentrifugentechnologie von Urenco basiert. Sie nahm Anfang Mai 2006 den Betrieb auf. Da die dort hergestellte Menge an Uran aber nicht ausreicht, um die beiden brasilianischen AKW zu betreiben, werden zusätzlich angereichertes Uran und Brennstäbe importiert – auch aus Gronau und Lingen. Alleine seit 2023 genehmigte die Bundesregierung vier Exportgenehmigungen. Eine weitere erfolgte im Frühjahr 2025.3
Erneuerbare Energien auf dem Vormarsch
Brasilien will erneuerbare Energien – insbesondere jenseits der Wasserkraft – massiv ausbauen. Bereits heute stellen erneuerbare Energien über 87 Prozent des brasilianischen Strommixes (60 Prozent Wasserkraft und 27 Prozent Solar- und Windenergie). Für das Jahr 2024 wurde erwartet, dass rund 70 Prozent der neu installierten Stromerzeugungskapazität aus Solaranlagen stammen werden.4
Atomkraft spielt mit einem Anteil von etwas über 2 Prozent nur eine marginale Rolle im Strommix. Warum also hält Brasilien dennoch an der Atomkraft fest?
Enge militärische Verflechtungen und ein geheimes Bombenprogramm
Aus deutscher Sicht standen beim Atomabkommen wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. Militärische Überlegungen spielten allem Anschein nach auf deutscher Seite keine Rolle.5 Rückblickend stellt sich jedoch die Frage, ob aus brasilianischer Sicht das militärische Interesse im Vordergrund stand. Denn das Militärregime startete 1978 ein geheimes Atomwaffenprogramm, das erst 1990 – lange nach dem Ende der Militärjunta – offiziell beendet wurde.
Noch heute lässt das brasilianische Atomprogramm jedoch an Transparenz zu wünschen übrig. Im Jahr 1998 ratifizierte Brasilien zwar den Atomwaffensperrvertrag, jedoch nicht das Zusatzprotokoll, welches unangekündigte Inspektionen in der Urananreicherungsanlage durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) ermöglicht. Inspektoren wurde mehrfach der Zugang zu zentralen Anlagenteilen in Resende verweigert – offiziell zum Schutz vor Industriespionage.
Deutschland liefert Kernbrennstoffe an ein Land, das jahrzehntelang ein geheimes Atomwaffenprogramm betrieb und bis heute keine volle Transparenz bei der Urananreicherung gewährt. Dabei erlaubt das deutsche Atomgesetz Lieferungen nur an verlässliche Staaten, die das Material ausschließlich zivil nutzen. Umso erstaunlicher, dass das Abkommen bis heute Bestand hat.
Und heute?
Klar ist: In Brasilien wird kein AKW mehr mit deutscher Technik gebaut. Auch Angra-3 wird – wenn überhaupt –- nicht mit deutscher Beteiligung fertiggestellt. Trotzdem plant Brasilien den Bau von Mini-Atomkraftwerken – in enger Kooperation zwischen ziviler und die militärischer Nuklearindustrie: An einem bisher rein auf dem Reißbrett bestehenden Projekt sind neben verschiedenen Universitäten auch die brasilianische Marine und das Unternehmen Amazonen Azul Defense Technologies beteiligt.6 Ziel sind sowohl eine zivile Nutzung als auch der Einsatz in U-Booten.
Deutschland muss das Abkommen endlich kündigen!
Zwei Jahre nach dem Abschalten der deutschen AKW ist es höchste Zeit,die Atomkooperation mit Brasilien zu beenden. Das Abkommen war von Anfang an ein Fehler: Es förderte den Aufbau eines riskanten und intransparenten Atomprogramms, das Deutschland bis heute mit Technologien, Brennstoff und politischer Rückendeckung stützt. Diesem Irrsinn müssen wir endlich ein Ende setzen.
Quellen:
1 https://www.bundestag.de/resource/blob/410270/7f43477b75704c890c2ce380f33f91fe/WD-1-049-13-pdf.pdf
2 https://www.ausgestrahlt.de/blog/2019/10/15/atomkraft-brasilien/
3https://www.base.bund.de/shareddocs/downloads/de/fachinfo/ne/transportgenehmigungen.pdf;jsessionid=144AE5000F213AB47F80C517D0C884EC.internet972?__blob=publicationFile&v=184 und https://www.bundesumweltministerium.de/themen/nukleare-sicherheit/brennelemente-und-lieferungen
4 https://www.worldnuclearreport.org/The-World-Nuclear-Industry-Status-Report-2024-HTML#_idTextAnchor702
5 https://www.bundestag.de/resource/blob/410270/7f43477b75704c890c2ce380f33f91fe/WD-1-049-13-pd
6 https://world-nuclear-news.org/articles/brazil-to-begin-development-of-microreactor