Atomkraft in Belgien

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Ein Atomausstiegsgesetz, ein Beschluss zur Laufzeitverlängerung, massive Sicherheitsprobleme in zwei Uralt-AKW – und keiner weiß, wann wirklich mal eines vom Netz geht. / Stand 01/2013

Belgien ist ein seltsames kleines Land mit einer besonderen föderalen Struktur. Beispielsweise sind es die Regionen (Flandern, Wallonie und Brüssel), die jeweils über ihre Energiepolitik entscheiden – außer (und das ist nicht wenig!) über bestimmte strategische Fragestellungen wie die Atomfrage: Da hat der Zentralstaat die Oberhand. Was die belgischen AKW angeht, so gehören diese nach einer Reihe von Fusionen und Unternehmenszukäufen inzwischen alle dem französischen Energiekonzern GDF Suez, der hier unter dem Namen Electrabel auftritt. Regelmäßig führt das zu interessanten Kraftproben zwischen der Politik und dem allmächtigen Unternehmen.

Diese Streitigkeiten drehen sich (natürlich!) um die kolossalen Gewinne, die die sieben belgischen Druckwasserreaktoren – vier am Standort Doel bei Antwerpen, direkt an der niederländischen Grenze, und drei in Tihange, 70 Kilometer südwestlich von Aachen – abwerfen; schließlich haben die belgischen SteuerzahlerInnen und StromkundInnen die Meiler seit langem abbezahlt. GDF Suez/Electrabel will nun noch so lange wie möglich Profit aus ihnen schlagen, der belgische Staat hingegen zumindest einen Teil dieser Summe kassieren …

All das spielt sich vor dem Hintergrund des belgischen Atomausstiegsgesetzes ab, das die Regierung 2003 beschlossen hat. Demnach sollen alle AKW stillgelegt werden, wenn sie 40 Jahre alt sind: Doel-1 am 15. Februar 2015, Tihange-1 am 15. Oktober 2015 und Doel-2 am 1. Dezember 2015, die restlichen vier Reaktoren dann zwischen Oktober 2022 und September 2025. Allerdings sah das Gesetz verschiedene Möglichkeiten vor, diese Entscheidung zu revidieren. Derzeit kann niemand genau sagen, wo wir nun tatsächlich stehen. Denn 2009 hat eine neue Regierung beschlossen, Doel-1, Tihange-1 und Doel-2 zehn Jahre länger laufen zu lassen.

Tatsächlich ist die Situation sogar noch komplizierter, denn zwei Reaktoren zeigen erschreckende Mängel: Die Reaktordruckbehälter von Tihange-2 und Doel-3 sind voller Risse, der Beton von Tihange-2 bröckelt (von den Lecks in Tihange-1, aus denen radioaktives Wasser dringt, mal ganz zu schweigen). Tihange-2 und Doel-3 sind derzeit vom Netz, aber mit Blick auf die eine Million Euro Gewinn, die ihm dadurch täglich durch die Lappen gehen, will Electrabel sie so schnell wie möglich wieder in Betrieb nehmen. Die Entscheidung, ob sie wieder ans Netz dürfen oder endgültig stillgelegt werden, ist bereits gefallen; die belgische Atomaufsicht wird sie Mitte Januar verkünden. Und es sieht nicht so aus, als würden sie tatsächlich stillgelegt.

Die Bevölkerung ist eigentlich mehrheitlich gegen Atomkraft eingestellt: 75 Prozent bevorzugen Investitionen in erneuerbare Energien statt einer Verlängerung der Laufzeit der AKW, 66 Prozent finden es gut, wenn die drei ältesten Reaktoren 2015 stillgelegt werden, wie das Parlament es beschlossen hat, und immerhin noch 55 Prozent sind dafür, dass auch die restlichen vier Meiler wie im Ausstiegs-Gesetz festgelegt zwischen 2022 und 2025 vom Netz gehen. Die belgische Anti-Atom-Bewegung aber besteht im Wesentlichen aus ein paar Hundert Aktiven, die etwas unorganisiert arbeiten. Häufig bestimmen dazu noch Zugehörigkeiten zu politischen oder anderen Lagern deren Entscheidungen. Außerdem ist das „Forum nucléaire“, die belgische Atomlobby, sehr mächtig und aktiv und verfügt über Summen, die die Anti-Atom-Aktiven nicht haben.

Hält man sich vor Augen, wie klein Belgien ist, so ist klar, dass jeder Atomunfall nicht nur das ganze Land selbst, sondern ebenso die Nachbarländer treffen würde, in erster Linie die Niederlande (Doel) und Deutschland (Tihange). Ganz zu schweigen von den Castor-Transporten, die ohne Unterlass durch Belgien zur französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague und anschließend von dort zurück zu ihren Absendern rollen.

Bei „Nucléaire, STOP !“, einem Zusammenschluss belgischer Anti-Atom-Initiativen, kämpfen wir daher gemeinsam mit unseren Nachbarn für das endgültige und schnellstmögliche Aus aller Reaktoren. Mitte Januar haben wir im niederländischen Maastricht demonstriert, für Sonntag, 10. März, bereiten wir gemeinsam mit deutschen und niederländischen AtomkraftgegnerInnen eine Demo in Huy (bei Tihange) vor (siehe www.stop-tihange.org).

Was Deutschland angeht, so sollte man übrigens wissen, dass Eon und Electrabel auf Druck der EU-Wettbewerbshüter einen 1.700 Megawatt starken Kraftwerks-Deal abgeschlossen haben. Electrabel/GDF-Suez erwarb dabei unter anderem Strombezugsrechte in Höhe von 700 Megawatt aus Eon-Atomkrafwerken in Deutschland, Eon bekommt im Gegenzug 770 Megawatt Atomstrom aus AKW des französischen Konzerns geliefert. Belgien und Deutschland sind also, was Atomkraft angeht, aufs Engste verbunden, weswegen wir weiterhin eng zusammenarbeiten müssen, um diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.

Autor:
Jean-François Pontégnie
  - Nucléaire, STOP !
nucleaire-stop.blogspot.de

Dieser Text erschien im .ausgestrahlt-Rundbrief Nr. 19 (Januar 2013).

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Die Texte im .ausgestrahlt-Blog beschreiben die Situation zum Zeitpunkt ihres Erscheinens und werden nicht aktualisiert. Aktuelle Informationen zu atompolitischen Entwicklungen - aufgeschlüsselt nach einzelnen Ländern - gibt es im "World Nuclear Status Report" auf www.worldnuclearreport.org.

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