Psychotherapeutin Janna Dujesiefken (38) setzt sich mit der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“ dafür ein, dass der Atommüll nicht zur Last der kommenden Generationen wird.
Ich bin in der unmittelbaren Umgebung des Ahauser Brennelemente-Zwischenlagers groß geworden, das Ende der 1980er Jahre gebaut wurde. Meine Eltern waren politisch sehr aktiv und haben uns zu jeder Demo mitgenommen. Das Thema war für mich als Kind einfach immer präsent. Für viele andere hier in Ahaus ist das Zwischenlager aber gar nicht so sichtbar, es liegt außerhalb des Stadtkerns. Davor stehen Rinder auf der Weide, man sieht das gar nicht richtig, es ist irgendwie gar nicht da.
Ein Schlüsselerlebnis war für mich der Castortransport 1998, als hier auch der Widerstand am größten war. Unser Haus lag mitten im Sperrgebiet, Helikopter landeten auf der Wiese nebenan, und vor der Haustür standen Wasserwerfer. Das war für mich als Elfjährige sehr eindrücklich, ich dachte wirklich, der Krieg sei ausgebrochen. Ich erinnere mich, wie ich bitterlich geweint habe, weil ich das alles so furchteinflößend fand, auch den aggressiven Umgang der Polizei mit dem Widerstand.
Der Widerstand ist danach geblieben. Ich bin damit groß geworden, aber als ich für Studium, Ausbildung und Auslandsaufenthalte weggezogen bin, habe ich das Thema eher aus der Ferne weiter begleitet. 2017 bin ich zurückgekommen und habe hier eine Familie gegründet. Dass ich Mama geworden bin, war für mich die große Motivation, nochmal richtig aktiv zu werden. Die Kinder leben hier in Ahaus mit den Hinterlassenschaften einer Technik, die sie selbst gar nicht genutzt haben. Deshalb müssen wir Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass der Müll so sicher wie möglich aufbewahrt wird.
Ich bin jetzt seit gut anderthalb Jahren aktiv in der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“, die Ende der 1970er Jahre entstanden ist. Ich möchte vor allem, dass die Bürger*innen mitbekommen, was gerade hier los ist. Ganz aktuell sollen 152 Castorbehälter aus Jülich nach Ahaus gebracht werden. Ich finde es einfach unfassbar, dass man wegen vermeintlich niedrigerer Kosten so eine gefährliche und nicht zukunftsfähige Lösung wählen will.
Die Abschaltung der AKW war ein großer Erfolg. Die Kehrseite ist allerdings, dass für viele das Thema Atommüll aus dem Fokus geraten ist. Meine Aufgabe sehe ich darin, die Menschen daran zu erinnern, dass es diesen Atommüll immer noch gibt. Es gibt so viele offene Fragen. Wie gehen wir damit um? Wo kommt ein Endlager hin? Die Sorge hier vor Ort ist, dass viele Menschen resignieren, wenn die Castorbehälter erst mal im Zwischenlager Ahaus sind – dann wäre es noch schwerer, Bürger*innen für den Protest gegen den Atommüll und die Verantwortungsübernahme zu gewinnen.
„Die Abschaltung der AKW war ein großer Erfolg. Die Kehrseite ist allerdings, dass für viele das Thema Atommüll aus dem Fokus geraten ist.“
Zum Tschernobyl-Jahrestag hatten wir eine gemeinsame Aktion mit der Initiative in Jülich, bei der wir uns an beiden Standorten jeweils mit ganz vielen Stühlen vor das Zwischenlager gesetzt haben – nach dem Motto: „Atommüllprobleme aussitzen können wir auch.“ So wollten wir nicht nur Aufmerksamkeit erzeugen, sondern auch neue, einprägsame Bilder schaffen. Es braucht auf jeden Fall noch mehr Aktionen, um Präsenz zu zeigen und das Thema sichtbar zu halten.
Wir haben regelmäßig alle vier bis fünf Wochen Kundgebungen in Ahaus an verschiedenen Orten. Zum Beispiel sind wir viel in der Innenstadt, auch wenn Markt ist, damit man uns wieder mehr sieht. Gleichzeitig versuchen wir, auf Social Media stärker präsent zu sein, um die Informationen auch in die Generation der Anfang-20-Jährigen zu streuen, die diese großen Castortransporte gar nicht mehr mitbekommen hat. Viele treibt eher der Rechtsruck und der Klimawandel um. Wir versuchen zu vermitteln, dass Klimaschutz eben nicht „Zurück zur Atomkraft“ heißt – im Gegenteil. Wir müssen die Erneuerbaren weiter ausbauen, das ist der einzige Weg. Atomkraft behindert die Energiewende.
Wir überlegen gerade, wie wir diese Jüngeren aktivieren können. Das ist ein Problem für die Anti-Atom-Bewegung, und auch unsere Bürgerinitiative braucht dringend eine Verjüngung. Ich leite sie gemeinsam mit Burkhard, der noch aus der Gründungszeit der BI stammt und einen großen Schatz an Wissen und Erfahrungen hat. Gleichzeitig versuche ich, jüngere Leute für das Thema zu gewinnen. Wünschenswert wäre, dass sich eine neue Generation des Themas annimmt, ihre Ideen einbringt, und dass der langjährige Protest weiterlebt. Ein Fortschritt ist, dass wir mittlerweile mit jüngeren Bundestagsabgeordneten, etwa von den Linken, zusammenarbeiten, und so neue Kontakte und Kooperationen entstehen.
Ganz wichtig für uns ist auch die Kooperation mit anderen Initiativen, besonders in Münster und in Jülich und mit .ausgestrahlt. Dadurch haben wir nicht nur noch mehr Streitkraft, es macht auch einfach Spaß, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und sich gegenseitig den Rücken zu stärken. Man weiß, alle ziehen an einem Strang – das gibt ganz viel Kraft und Motivation für Phasen, die frustrierend und anstrengend sind.
„Wenn meine Kinder mich mal fragen: ‚Wo warst du? Was hast du gemacht?‘, möchte ich sagen können: ‚Ich habe mein Bestes getan.‘“
Der enorme Widerstand gegen den Castortransport 1998 hat dazu geführt, dass seitdem kein weiterer AKW-Müll mehr nach Ahaus verfrachtet wurde – nur noch Müll aus Forschungsreaktoren. Zugleich haben die Proteste entscheidend dazu beigetragen, den Atomausstieg in Deutschland durchzusetzen. Auch die Castortransporte aus Jülich konnten wir schon über zehn Jahre lang verhindern. Es ist uns gelungen, den Schulterschluss mit der Stadt zu machen, nachdem es jahrzehntelang viel Gegenwind für uns aus dem Ahauser Rathaus gab. Jetzt aber stehen Bürgermeisterin und Rat hinter uns. Die Stadt hat sogar geklagt gegen die Einlagerungsgenehmigung für die Jülicher Castoren hier in Ahaus, leider ohne Erfolg. Das Problem könnte man ganz einfach lösen, indem man in Jülich ein neues Zwischenlager baut. Stattdessen heißt es, dass es kostengünstiger sei, den Atommüll nach Ahaus zu transportieren. Aber es ist auf jeden Fall ein absolut vermeidbares Risiko, 152 Mal mit einem 130-Tonnen-LKW mit hochradioaktiver Fracht über die Autobahn, marode Brücken und mitten durch dichtbesiedeltes Gebiet zu fahren. Zudem ist davon auszugehen, dass diese Lösung gar nicht wirtschaftlicher ist, da der Vergleich manche Kosten nicht berücksichtigt, zum Beispiel für die Polizeieinsätze.
Meinen Aktivismus in den Alltag mit eigener Praxis und Familie zu integrieren, ist definitiv eine Herausforderung. Zum Glück hält mir mein Mann den Rücken frei – sonst würde ich das gar nicht hinbekommen. Ich investiere mehr Zeit, als ich anfangs gedacht habe. Immer wieder bin ich beeindruckt, welch enormes Fachwissen viele Aktive mitbringen, und merke, dass ich selbst noch viel lernen kann. Von Freund*innen und Bekannten höre ich oft: „Toll, dass du dich engagierst, aber ich habe dafür keine Zeit.“ Ehrlich gesagt habe ich auch wenig Zeit, aber ich nehme sie mir und setze meine Prioritäten entsprechend. Wenn meine Kinder mich mal fragen: „Wo warst du? Was hast du gemacht?“, möchte ich sagen können: „Ich habe mein Bestes getan.“ Man könnte immer mehr machen, keine Frage, aber das, was ich schaffen kann, das will ich machen – auch damit ich jeden Morgen in den Spiegel gucken kann.
Wer sich engagieren möchte, kann sich einfach per E-Mail oder über Social Media bei uns melden. Wir machen auch Infostände, um den Einstieg bei der BI zu erleichtern. Außerdem planen wir eine Reihe von Infoabenden. Das macht mir unheimlich viel Spaß und ist bereichernd, weil ich da mit Leuten in Kontakt komme, die ähnliche Werte haben. Wir brauchen den Widerstand, denn das Thema wird uns noch unser ganzes Leben lang begleiten – sogar die Generation, die jetzt erst auf die Welt kommt. Es macht Spaß, sich zu engagieren, und es ist ein gutes Gefühl, etwas beizutragen – es muss gar nicht immer die ganz große Aktion sein. Überall kann man minikleine Schritte machen. Und trotzdem braucht es auch große Bewegungen, die die Politik in die Verantwortung nehmen. Für mich ist es immer ein Balanceakt: Was kann ich selbst konkret bewirken – und wo muss ich klar und deutlich von der Politik fordern, endlich zu handeln?
Interview: Bettina Ackermann,
Protokoll: Anna Stender
bi-ahaus.de
Das Original-Interview gibt’s auch zu hören: ausgestrahlt.de/podcast
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