Atom-Finanzen: Doppeltes Desaster

15.12.2016 | Jochen Stay

Jetzt ist es also soweit: zwei atompolitische Konflikte, in denen .ausgestrahlt und viele Anti-Atom-Bewegte in den letzten Jahren kräftig mitgemischt haben, gehen am selben Tag zu Ende: Am 15. Dezember 2016 beschließt der Bundestag das Gesetzespaket in Sachen Folgekosten der Atomkraft und ermöglicht damit den AKW-Betreibern, sich aus der Verantwortung für den Atommüll freizukaufen. Und das Parlament entscheidet zusätzlich, die Brennelementesteuer nicht zu verlängern.

Wer zahlt für den Atommüll?

Bad Bank - Wir zahlen nicht für Euren Müll

Begonnen hatte der Streit um die Atom-Finanzen vor mehr als zweieinhalb Jahren, im Mai 2014, als erstmals Pläne öffentlich wurden, eine Art „Atom-Bad-Bank“ zu gründen. Im Dezember des gleichen Jahres kündigt Eon seine Aufspaltung an und will die Atomkraftwerke in eine neu gegründete Gesellschaft auslagern. Das Ziel dieser Vorstöße: Sobald sich mit den Reaktoren nichts mehr verdienen lässt, wollen die Stromkonzerne auch nicht mehr für die Folgen geradestehen.

Gemeinsam mit dem Umweltinstitut München startet .ausgestrahlt den Aufruf „Wir zahlen nicht für Euren Müll“. Bis heute haben fast 140.000 Menschen unterschrieben.

Einen Teilerfolg erreicht der Protest im September 2015: Das ganze Jahr über haben Tausende mit den „Sag mal Eon“-Materialien von .ausgestrahlt öffentlich die Pläne des Konzerns skandalisiert. Aktivist*innen protestieren vor der Eon-Zentrale und bei der Eon-Hauptversammlung. Schließlich merkt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, dass er handeln muss und kündigt ein Gesetz an, das die Nachhaftung auch bei Ausgliederung der AKW aus dem Konzern regeln soll. Da gibt Eon auf und beschließt, die Atomkraftwerke nicht zur neuen Gesellschaft „Uniper“ zu geben, sondern selbst zu behalten.

 

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Eon-Satire von .ausgestrahlt
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Sag mal Eon...

 

Doch damit ist der Streit nicht beendet: Gabriel setzt eine Kommission ein, die die Zukunft der Atom-Finanzen regeln soll. Sie tagt - immer wieder von Protesten begleitet. .ausgestrahlt trägt bei einer Anhörung der Kommission vor, wie aus unserer Sicht dem Verursacherprinzip Geltung verschafft werden kann.

Am Ende der Kommission steht ein Vorschlag, der uns überhaupt nicht schmeckt: Mit einer Zahlung von 23 Milliarden in einen öffentlichen Fonds sind die AKW-Betreiber von jeder Haftung für zukünftig steigende Atommüll-Kosten befreit. Für die Lagerung der strahlenden Abfälle ist künftig der Staat zuständig. Alle Zwischenlager sollen zwischen 2019 und 2020 von den Stromkonzernen an eine staatliche Gesellschaft übergehen.

Der Abriss der AKW und das dafür notwendige Geld bleibt in der Hand von Eon, RWE und Co – mit dem Risiko, dass es futsch ist, wenn eines oder mehrere Unternehmen vor dem erfolgten Rückbau pleite sind. Dann müsste auch hier die Allgemeinheit zahlen.

Unser Weg wäre gewesen: Die Gelder für alle Folgekosten der Atomkraft in einem öffentlichen Fonds zu sichern und die Unternehmen trotzdem nicht aus der Haftung entlassen. Wird es künftig teurer und das Geld aus dem Fonds reicht nicht – und gleichzeitig machen die Konzerne mit neuen Geschäftsfeldern wieder Gewinne, dann sollte es eine Nachschusspflicht geben.

Trotz aller Bemühungen können wir uns damit nicht durchsetzen. Mit dem Gesetzespaket, das der Bundestag nun beschließt, ist es amtlich: Diejenigen, die über Jahrzehnte Aber-Milliarden mit ihren Atomkraftwerken verdient haben, sind für die Folgen nicht mehr verantwortlich. Der Atommüll gehört künftig quasi dem Staat, also irgendwie uns allen – und wir müssen sehen, wie wir damit klarkommen und wie wir die immensen Kosten tragen, die für seine möglichst sichere Lagerung entstehen.

Gerecht ist das nicht. Aber es zeigt, wie groß der politische Einfluss von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW immer noch ist. Es ist ein extrem schmutziger Deal, auf den sich das Parlament da einlässt.

Steuerbefreiung für Atomkraftwerke

Teil dieses Deals über die Folgekosten der Atomkraft ist ein sogenannter „Risikozuschlag“ von sechs Milliarden Euro, zusätzlich zu dem Geld, das die Konzerne in ihren Bilanzen als Atommüll-Rückstellungen stehen haben und jetzt in den Fonds einzahlen.

Doch genau diese sechs Milliarden verliert der Staat in den nächsten Jahren wieder durch die Abschaffung der Brennelementesteuer zum 31. Dezember 2016. Willkommener Nebeneffekt: Damit lässt sich künftig mit Atomkraftwerken wieder richtig Geld verdienen.

Vor einem Jahr hat .ausgestrahlt, auch hier zusammen mit dem Umweltinstitut, angefangen, das Auslaufen der Atom-Steuer zu thematisieren. Anti-Atom-Aktive haben bundesweit als „Atom-Steuer-Eintreiber*innen“ informiert und protestiert. Prominente haben sich gegen das Steuergeschenk für die Atomindustrie eingesetzt. Tausende schickten Postkarten an die SPD, viele Aktive führten Gespräche mit Abgeordneten. Zum Ende stieg dann noch Campact mit ein und so können jetzt etwa 300.000 Unterschriften für die Verlängerung der Steuer übergeben werden.

Proteste vor dem Finanzministerium
Foto: Jakob Huber
Proteste vor dem Finanzministerium

Genutzt hat es wenig. Zwar hat die SPD angekündigt, die Wiedereinführung der Steuer in ihrem Bundestags-Wahlprogramm aufzunehmen – aber die Verlängerung der Steuer stand auch schon im letzten SPD-Wahlprogramm und ging in den Koalitionsverhandlungen mit der Union verloren. Klar bleibt .ausgestrahlt dran, damit das beim nächsten Mal nicht wieder passiert und es tatsächlich zu einem Comeback der Steuer kommt. Aber Tatsache ist: Ab Januar 2017 sind Brennelemente steuerfrei.

Alles umsonst?

Nicht nur das .ausgestrahlt-Team, sondern auch unzählige Aktivist*innen und weitere Umweltorganisationen haben sich in den Streit um die Atomfinanzen und die Atom-Steuer eingemischt. Viele haben für diese Arbeit gespendet und wir haben viele Stunden Arbeit und viele Euro für unsere Ziele eingesetzt. Bei der Brennelementesteuer kam ja noch die Hoffnung dazu, dass es zum schnelleren Aus der AKW kommen kann, wenn diese sich aufgrund der Steuer einfach nicht mehr rechnen.

Alles vergeblich? Nun, was bleibt, ist die verhinderte Ausgliederung der Eon-AKW. Was bleibt ist, dass es überhaupt endlich einen öffentlichen Fonds für die Folgekosten der Atomkraft gibt, eine langjährige Forderung der Anti-Atom-Bewegung – auch wenn die Summen, die dort landen, viel zu niedrig sind. Doch jede Milliarde, die die Konzerne da einzahlen, ist eine Milliarde weniger, die die Allgemeinheit zahlen muss. Es wäre deutlich mehr möglich gewesen, aber es ist mehr als nichts. Und wer weiß, vielleicht wird nach der nächsten Bundestagswahl die Brennelementesteuer doch nochmal Thema.

Protestaktion am 15.12. vor dem Bundestag
Foto: Jakob Huber
Protestaktion am 15.12. vor dem Bundestag

Zufrieden können wir mit dieser Bilanz nicht sein. Übrigens auch deshalb nicht, weil der Bundestag mit seinen Beschlüssen nicht unerheblich dazu beiträgt, Politikverdrossenheit und Unverständnis für staatliches Handeln in der Bevölkerung zu steigern – in diesen Zeiten ein Spiel mit dem Feuer.

Wir werden nicht aufgeben

Wir wissen alle, dass unsere Arbeit auch mehr bewirken kann, als es diesmal der Fall war. Die Anti-Atom-Bewegung hat immer wieder Erfolge erzielt. Das macht Mut, auch über Enttäuschungen hinweg. Natürlich machen wir weiter, denn auch wenn wir in der Auseinandersetzung um die Atom-Finanzen unsere Ziele nicht erreicht haben, gibt es noch viel zu bewegen. Bis Du dabei?

Wer genauer verstehen will, was der Bundestag heute beschlossen hat, kann unsere Fragen und Antworten „… und wer zahlt für den Müll?“ nachlesen.

 

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Jochen Stay

Jochen Stay, Jahrgang 1965, ist seit seinem 15. Lebensjahr aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, seit Wackersdorf 1985 in der Anti-Atom Bewegung und seit 2008 Sprecher von .ausgestrahlt.

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