Atomkraft-Expertin Stephanie Eger über die intransparente Schweizer Atomaufsicht, das EU-Strommarktabkommen und den Nutzen alpiner Solaranlagen.
Frau Eger, die Schweizer Bevölkerung hat 2017 in einem Referendum ein Neubauverbot für AKW beschlossen. Die bestehenden Reaktoren aber, inzwischen 40, 45, 53 und 56 Jahre alt, dürfen laut Gesetz laufen, solange sie „sicher“ sind. Wer entscheidet, ob das noch der Fall ist?
Das ENSI, das Eidgenössische Nuklearinspektorat, und zwar allein. Das ENSI veröffentlicht nur seine Stellungnahme zu den Periodischen Sicherheitsüberprüfungen (PSÜ) der AKW-Betreiber. Die zugrundeliegenden Dokumente, auf die sich auch die Entscheidung des ENSI stützt, werden nicht veröffentlicht. Eine gründliche Prüfung ist somit unmöglich. Das ist gefährlich intransparent.
Trotz alledem wurde das AKW Mühleberg Ende 2019 abgeschaltet.
Das hat aber nicht das ENSI, sondern der Betreiber selbst entschieden. Es rentierte sich der Betrieb nicht mehr.
Für die beiden Reaktoren Beznau 1 und 2, die ältesten der Welt, hat Betreiber AXPO jüngst angekündigt, sie in 8 bzw. 7 Jahren stillzulegen – auch „aus technischen Gründen“.
Es gibt bei beiden Reaktoren sehr viele Alterungsmängel. So haben die Reaktordruckbehälter eine voraussehbare Ermüdung erlitten, wodurch die Bruchgefahr steigt. Im Falle von Beznau 1 gibt es sogar Materialfehler und Korrosion am Boden des Reaktordruckbehälters. Die Reaktordruckbehälter kann man aber nicht auswechseln. Die beiden Uralt-Meiler müssten schon heute abgeschaltet werden!

Stephanie Eger
Stephanie-Christine Eger leitet den Fachbereich Atomenergie bei der Schweizerischen Energie-Stiftung SES und ist Geschäftsführerin des Trinationalen Atomschutz-Verbands (TRAS).
Aktuell kommen noch 37 Prozent des schweizerischen Stroms aus Atomkraft …
37 Prozent der Stromproduktion, nicht des Verbrauchs! Rechnerisch wird mehr als die Hälfte des Atomstroms exportiert. Die Erneuerbaren
deckten 2024 bereits rund 80 Prozent des Schweizer Strombedarfs. Vor einem Jahr hat die Bevölkerung zudem in einem Referendum das Stromgesetz beschlossen, das den Erneuerbaren-Ausbau enorm puschen wird. Das ist gerade in der Umsetzung.
Sowohl der Schweizer Energieminister als auch eine Volksinitiative wollen dennoch das AKW-Neubauverbot kippen.
Das kommt zur Unzeit. Die Atomdebatte jetzt wieder neu zu eröffnen, schürt nur Investitionsunsicherheit für die Erneuerbaren!
Will denn jemand neue AKW bauen?
Darauf geht der Bundesrat, die Schweizer Regierung, nicht ein. Die jetzigen AKW-Betreiber jedenfalls haben schon abgewunken. Ohne Subventionen wird da nichts gehen. Im Übrigen ist es kein Problem, auch den restlichen Strombedarf der Schweiz über erneuerbare Energien zu decken.
Warum diskutiert die Schweiz dann über angeblich fehlenden „Winterstrom“?
Mehr als zwei Drittel des Stroms in der Schweiz kommen aus Wasserkraft. Stark zugelegt hat zuletzt die Solarenergie, allein von 2023 auf 2024 um mehr als 27 Prozent. Solarenergie ist aber im Winter nicht so ertragreich. Manche haben deshalb Angst, dass es ohne AKW dann nicht reicht.
Und was sagen Sie denen?
Erstens kann man dieses Problem beheben, wenn man genügend Solaranlagen baut, auch in alpiner Höhe. Das Gesamtpotenzial der Solarenergie liegt laut dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen bei rund 82 Milliarden Kilowattstunden im Jahr. Das ist deutlich mehr, als die gut 60 Milliarden Kilowattstunden, welche die Schweiz derzeit insgesamt jährlich an Strom verbraucht. 83 große Wasserspeicherkraftwerke produzieren zudem bereits rund 29 Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr. Dank dem neuen Stromgesetz können sie erleichtert ausgebaut und weitere hinzugebaut werden. Und schließlich ist die Schweiz mitten in Europa auch elektrisch gut vernetzt mit ihren Nachbarländern. Gerade im Winter ist dort oft Windstrom im Überfluss vorhanden.
Welche Rolle spielt das Stromabkommen mit der EU, das gerade in der Diskussion ist?
Ab nächstem Jahr schreibt die EU vor, dass 70 Prozent der grenzüberschreitenden Leitungskapazitäten der EU-Staaten für Stromlieferungen an andere EU-Länder reserviert werden müssen. Mit dem Stromabkommen würde die Schweiz – inklusive der Schweizer Wasserkraftspeicher – in den europäischen Strommarkt integriert. Das wäre von Vorteil für beide Seiten. Es würde die Netzstabilität und Versorgungssicherheit erhöhen und die Energiewende in ganz Europa erleichtern, inklusive dem Schweizer Atomausstieg.
Interview: Armin Simon
Schwerpunkt Schweiz
Diese Artikel gehören zum Schwerpunkt-Thema Schweiz aus dem .ausgestrahlt-Magazin 64:
- Grenzüberschreitendes Risiko (Einleitung)
- Wohin weht der Super-GAU? (Hintergrund)
- „Eine neue Atomdebatte schürt nur Investitionsunsicherheit“ (Interview)

Schweizer AKW abschalten!
Ein Atomunfall in der Schweiz könnte weite Teile Deutschlands radioaktiv verseuchen. Der Überzeitbetrieb der Schweizer AKW setzt die Bevölkerung insbesondere in Süddeutschland einem unverantwortlichen Risiko aus. Zugleich behindert das Festhalten an Atomkraft den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Energiewende in Deutschland und der Schweiz. Bundesregierung und Landesregierung in Baden-Württemberg müssen sich endlich für eine Laufzeitbegrenzung der Schweizer AKW und eine deutsch-schweizerische Energiewende-Partnerschaft einsetzen. Das kannst du tun:
1. Unterschriftenaktion
Fordere mit .ausgestrahlt einen straffen Ausstiegsfahrplan mit festen Abschaltdaten für alle Schweizer AKW. Hier kannst Du online unterschreiben: ausgestrahlt.de/schweiz
Mach auch Freund*innen, Bekannte, Nachbar*innen und Kolleg*innen auf die Unterschriftenaktion aufmerksam. Teile und verbreitesie in deinen Netzwerken.
2. Online-Infoveranstaltungen
Die Ergebnisse der Studie „Grenzenloses Risiko: Gefährdung Deutschlands durch schwere Unfälle in Schweizer Atomkraftwerken“ stellt .ausgestrahlt in einstündigen Online-Veranstaltungen vor. Die ersten Termine: Mi, 2. Juli und Mo, 14. Juli, jeweils 18:30 Uhr. Anmeldung unter ausgestrahlt.de/schweiz
Die Studie selbst kannst Du herunterladen oder kostenlos bestellen: ausgestrahlt.de/shop
3. WhatsApp-Kanal
Für alle, die mithelfen wollen, die Atomgefahren aus der Schweiz in (Süd‑)Deutschland zum Thema zu machen und den Betrieb der Schweizer AKW zu begrenzen, hat .ausgestrahlt den WhatsApp-Channel „Schweiz: Atom-Gefahr beenden“ eingerichtet. Dieser verbreitet Infos, Aktionsideen und Berichte über Aktivitäten vor Ort – damit Du sie nutzen, weiterspinnen, nachmachen kannst.
4. Vernetzungstreffen
Willst Du aktiv werden? Dann komm zum Online-Vernetzungstreffen. Erster Termin ist Mo, 7. Juli um 19 Uhr. Anmeldung unter ausgestrahlt.de/schweiz