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Strahlende Altlasten in Deutschland – ein Überblick

Das Atomgesetz regelte in seinem Ursprung: Atomkraftwerke und andere Atomanlagen dürfen nur dann betrieben werden, wenn sichergestellt ist, dass der anfallende Atommüll „geordnet beseitigt“ wird. 1979 änderte man diese, bis heute defacto unerfüllte Vorgabe. Seitdem genügt es formal, wenn die AKW-Betreiber den Verbleib des jahrtausendelang strahlenden Mülls für die nächsten sechs Jahre geklärt haben.

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Protestaktion gegen die weitere Produktion von Atommüll, Berlin 2012

Seit dem gesetzlichen Atomausstieg 2002 ist allerdings nicht einmal mehr das nötig: Solange es ein Zwischenlager gibt, in dem der zu erwartenden Strahlenabfall Platz hat, gilt der Entsorgungsnachweis als geführt – dies im Übrigen auch angesichts der Tatsache, dass die Genehmigungen der Zwischenlagerhallen in den 2030er und 40er Jahren auslaufen.

Die Mengen

Und so hinterlässt die Atomindustrie nach Abschalten des letzten AKW in Deutschland Ende 2022 insgesamt rund 17.000 Tonnen hochradioaktiven Müll – abgebrannte Brennelemente und Abfälle aus der Plutonium-Abtrennung. Hinzu kommen rund 600.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Zum Teil liegen diese Abfälle derzeit an den AKW-Standorten, im ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe und anderen Sammelstellen auf Halde.

37.000 Kubikmeter Atommüll liegen heute im von der DDR angelegten und bis 1998 weiterhin fleißig befüllten „Endlager“ Morsleben. 200.000 Kubikmeter im ehemaligen Salzbergwerk Asse II, weitere 200.000 Kubikmeter Strahlenmüll werden voraussichtlich beim Abriss der Reaktoren anfallen; eine etwa 30 mal so große Menge soll „freigemessen“ und als Wertstoff oder Bauschutt recycelt, verbrannt oder deponiert werden. Aus der Urananreicherungsanlage Gronau rechnet die Regierung mit bis zu 100.000 Kubikmeter Uranmüll.

Komplett außen vor sind bei dieser Aufstellung die Atommüllberge, die schon beim Abbau und der Aufbereitung des Uranerzes entstehen, sowie der Teil des Strahlenmülls, den die Atomkraftwerke und Atomanlagen tagtäglich über Schornsteine und Abwasserrohre direkt in die Umwelt abgeben.

Schwach- und mittelradioaktiver Abfall

Asse II

Deklariert als Forschungsbergwerk verschwanden in der maroden Anlage Asse II von 1967 bis 1978 fast alle in Westdeutschland angefallenen schwach- und mittelradioaktiven Abfälle. Heute liegen dort 124.494 Fässer mit „schwachradioaktiven“ und 1.293 Fässer mit mittelradioaktiven Abfällen aus Atomkraftwerken, -forschungszentren, -industrie, Atommüllsammelstellen und der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe im Salzstock, darunter lecke und korrodierte Fässer, flüssige Abfälle, rund 28 kg Plutonium sowie mindestens 94 Fässer mit kugelförmigen Brennelementen aus dem Versuchsreaktor AVR im Kernforschungszentrum Jülich.

Grundwasser in Gefahr

Ob sich das Bergwerk für die Einlagerung von Atommüll eignete, wurde nie wirklich geprüft. Kritiker*innen, die damals bereits auf einen Wassereintritt hinwiesen und die Stabilität der Grube anzweifelten, wurden nicht gehört. Im Gegenteil: Die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF), die im Auftrag des Bundes die Asse betrieb, passte die Annahmebedingungen einfach dem angelieferten Atommüll an. Als die zulässigen Grenzwerte in den Jahren 1969/70 überschritten wurden, erhöhte man sie schlichtweg für zehn Prozent der Fässer – und zwar um das Fünffache. 2009 legalisierte der Bundestag die Atommüllkippe, deren Sicherheit niemals nachgewiesen wurde, nachträglich als dauerhaftes Atommüll-Lager.

Kurz danach wurde bekannt: Seit 1988 dringen täglich 12 Kubikmeter Wasser in die Stollen ein. Die Lauge sammelt sich im Bergwerk und ist unter anderem mit radioaktivem Cäsium, Plutonium und Americium kontaminiert – also ganz offensichtlich in Kontakt mit dem Atommüll. Die radioaktive Lauge droht das Grundwasser zu verseuchen. Erst jetzt stellte das Bundeskabinett die Asse unter Atomrecht. Druck aus der Bevölkerung führte zur Anerkennung der Forderung, dass der Atommüll nicht in Asse  II verbleiben kann. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die seit 2017 Betreiberin der havarierten Atommüllkippe ist, hat den Arbeitsauftrag, diese Rückholung durchzuführen. Die Bergung soll erst ab 2033 und nach derzeitigen Schätzungen sechs Milliarden Euro kosten – die Kosten wird die Allgemeinheit tragen.

Deutliche Hinweise auf Gesundheitsschäden durch Atommüll

In der Samtgemeinde Asse erkrankten zwischen 2002 und 2009 doppelt so viele Menschen an Leukämie und dreimal so viele an Schilddrüsenkrebs, wie statistisch zu erwarten gewesen wäre. Wissenschaftler*innen wiesen außerdem nach, dass in der Umgebung des Atommülllagers signifikant weniger Mädchen als Jungen auf die Welt kamen. Die Ärzte-Organisation IPPNW wertet dies als einen weiteren deutlichen Hinweis auf mögliche biologische Auswirkungen radioaktiver Niedrigstrahlung in der Region.

Morsleben

Im ehemaligen DDR-Endlager in Sachsen-Anhalt sind derzeit 14.000 Tonnen schwach- und mittelradioaktiven Abfälle gelagert. Auch in Morsleben war seit Jahrzehnten bekannt, dass Wasser in das Bergwerk eindringen kann. Trotzdem wurde sogar noch nach der Wiedervereinigung in großem Stil Atommüll weiter eingelagert; diese Praxis konnte erst 1998 durch eine Klage beendet werden. Welche Stoffe dort genau "verscharrt" wurden, ist nicht lückenlos dokumentiert. Besonders deutlich wurde hingegen 2002, wie löchrig das Salzgestein in Morsleben tatsächlich ist: In einer Kammer brach die Decke ein. Nur zufällig lag genau dort kein Atommüll. Seither wird das "Endlager" mit Salzbeton stabilisiert und bis heute weitgehend offen gehalten. Ein Planfeststellungsbeschluss für die Schließung des Lagers fehlt, die Schließung des Lagers ist nicht vor 2030 zu erwarten.

Schacht Konrad

Eine immer wieder von Expert*innen genannte Konsequenz aus dem Desaster in der Asse: Es sollten künftig keine „unverritzten“ Standorte, also keine ehemaligen Bergwerke mehr für die Atommüll-Lagerung in Betracht gezogen werden. Als jedoch 1976 das ehemalige Eisenerz-Bergwerk im Norden der Stadt Salzgitter stillgelegt wurde, suchten Politik und Betreiber nach Wegen, die Zeche nicht endgültig schließen zu müssen. So entstand die Idee, den Schacht Konrad als langfristige Lagerstätte für schwach- und mittelradioaktive Abfälle zu nutzen.

Das Problem: Es hat nie ein Verfahren zur Prüfung und zum Vergleich alternativer möglichen Standorte im Land gegeben. Die Langzeitsicherheit ist umstritten, denn schon heute fließt mehr Wasser in das Bergwerk als in die marode Atommüllkippe Asse II. Beim Planfeststellungsverfahren 1991 reichten auch aus diesem Grund rund 300.000 Bürger`*innen Einwendungen ein - ohne Konsequenz. Schacht Konrad ist heute offiziell für künftig 300.000 Kubikmeter Atommüll genehmigt. Diese Menge umfasst im Übrigen nur etwa die Hälfte der tatsächlich anfallenden, schwach- und mittelradioaktiven Abfälle. Was mit dem „Rest“ geschieht, ist unklar.

Die Inbetriebnahme des "Endlagers" Schacht Konrad wurde bereits mehrfach in die Zukunft verschoben. Nach derzeitigem Stand soll die Einlagerung nach Angaben der BGE 2027 erfolgen.

Hochradioaktiver Abfall

Die Zwischenlager

99,9 Prozent der Radioaktivität allen Atommülls stecken in der hochradioaktiven Fraktion. Abgebrannte Brennelemente lagern entweder in den Abklingbecken der Atomkraftwerke oder in Castor-Behältern. Auch die hochradioaktiven Rückstände aus der sogenannten „Wiederaufarbeitung“, der Abtrennung von Plutonium, lagern in Castoren.

Die tonnenschweren und heißen Atommüll-Behälter stehen in den bundesweit 16 Zwischenlagern: oberirdischen Betonhallen (in Neckarwestheim oberflächennahe Stollen) mit großen Lüftungsschlitzen. Die Dichtheit der Behälter ist laut ihrer Zulassung lediglich für 40 Jahre gewährleistet. Wie es danach weitergeht, ist unklar. Wird ein Castor undicht, kann sein radioaktiver Inhalt ungehindert ins Freie entweichen.

Keine der Zwischenlager-Hallen ist gegen den Absturz eines großen Passagierflugzeugs oder gegen Angriffe mit modernen panzerbrechenden Waffen geschützt. Dem admin wurde vor diesem Hintergrund nach einem Rechtsstreit die Genehmigung gerichtlich entzogen. Die anderen Zwischenlagerhallen sind keineswegs sicherer: Sie sind baugleich mit der in Brunsbüttel oder haben sogar noch dünnere Wände.

Atommüllprojekt Gorleben: Schwarzbau unter Tage

Der Salzstock bei Gorleben im Nordwesten Deutschlands bleibt potenzieller Atommüll-Lager-Standort, obwohl er Kontakt mit dem Grundwasser hat. 1977 fiel die Standort-Wahl aus rein politischen Gründen - aus Rache für das grenznahe DDR-Endlager Morsleben. Es gab nie ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren und damit de facto keine Beteiligung der Öffentlichkeit. Ein für die Endlagerung von Atommüll zwingend notwendiges wasserdichtes Deckgebirge über dem Salzstock ist in Gorleben nicht vorhanden. Beim neuen, 2017 gestarteten Standortauswahlverfahren ist Gorleben weiterhin im Topf – wieder aus politischen Gründen: Es gibt keinen Konsens zwischen den unterschiedlichen Lagern; die konsequente Aufgabe des Bergwerks, dessen weiterer Ausbau 2013 gestoppt wurde, ist im Bundestag nach wie vor nicht durchsetzbar.

Das Standortauswahlverfahren: Die (vergebliche) Suche nach einem Atommüll-Lager

Nach wie vor gibt es keine langfristige Lagerstätte für hochradioaktive Abfälle. Nachdem der weitere Ausbau des ehemals geplanten und ungeeigneten Atommüll-Lagers im Salzstock Gorleben 2013 vorerst eingestellt wurde, läuft seit 2017 das gesetzliche Suchverfahren zur Bestimmung eines Atommüll-Lager-Standortes. Allerdings ist Gorleben immer noch im Topf. Bei der Entwicklung des Verfahrens gewannen politische Interessen die Oberhand gegenüber wissenschaftlicher Vernunft. Das hat massive Auswirkungen auf die Verfahrensqualität:

  • Die Menschen, die in den infrage kommenden Regionen leben, haben keine Mitgestaltungs- und Mitbestimmungsrechte. Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt auf einem sehr niedrigen Niveau und ist auf Information und Anhörung beschränkt. Das Verfahren schränkt außerdem den Rechtsschutz für Betroffene empfindlich ein.
  • Das Verfahren hat ein massives Transparenzproblem. Die Öffentlichkeit wird quasi erst immer dann informiert, wenn zeitnah Fakten geschaffen werden. Dadurch „hinken“ Betroffene und Interessierte dem Verfahren stets hinterher. Die gewährten Reaktionszeiträume sind zu kurz.
  • Das Verfahren erfolgt unter großem Zeitdruck. Gemäß Standortauswahlgesetz soll der Atommüll-Lager-Standort bis 2031 bestimmt werden. Es besteht kein Zweifel daran, dass dieses Zeitziel absolut unrealistisch ist – dennoch wird es nicht korrigiert.
     

Wer für den Strahlenmüll zahlt

Mit einer Einmalzahlung von 24 Milliarden Euro haben sich die Atomkonzerne für alle Zeiten aus der Verantwortung für den von ihnen produzierten Atommüll freigekauft. Der Bundestag hat den Deal mit den Atomkonzernen 2016 abgesegnet. Das Geld steckt in einem staatlichen Atommüll-Fonds. Bereits jetzt ist klar, dass der Betrag nicht reichen wird, um die Atommüllkosten zu decken. Tatsächlich ist der Betrag inzwischen sogar geschrumpft, weil auf die Gelder, die noch nicht in Anlagen steckten Negativzinsen gezahlt werden mussten. Sobald der Atommüll-Fonds aufgebraucht ist, wird die Allgemeinheit zur Kasse gebeten. Das Verursacherprinzip gilt hier nicht mehr, denn eine Nachhaftungsregelung wurde nicht getroffen.


Wiederaufarbeitung und Transmutation sind keine Lösungen!
 

Wiederaufarbeitung

Von Atomkraftbefürwortern wird als alternative Lösung für die "Endlagerung" des hochradioaktiven Atommülls häufig die so genannte „Wiederaufarbeitung“ genannt. Bei diesem Verfahren handelt es sich jedoch mitnichten - wie der Begriff es suggeriert - um eine Art Recycling. Im Gegenteil: die Menge des Atommülls wird in einer Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) sogar vervielfacht. Vor allem zwei Endprodukte sind dabei besonders problematisch. Erstens das Plutonium, das in praktisch reiner Form anfällt und Ausgangsmaterial für Atombomben ist. Zweitens die hochradioaktive, sich selbst erhitzende und explosionsgefährdete „Atomsuppe“. Allein die Verglasung der 60 bis 70 Kubikmeter, die in der – im Vergleich zu La Hague winzigen – Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) angefallen sind, kostet nach derzeitiger Prognose rund 2,6 Milliarden Euro. Finanziert werden diese Mittel größtenteils aus Steuergeldern.

Zudem gehören die Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague und Sellafield zu den größten radioaktiven Dreckschleudern weltweit, denn sie leiten enorme Mengen Radionuklide in Luft und Wasser. Brennelemente aus deutschen Atomkraftwerken dürfen im Übrigen seit Mitte 2005 nicht mehr zu sogenannten Wiederaufarbeitungsanlagen ins Ausland geschickt werden.

Transmutation

Atomkraftbefürworter*innen fordern immer wieder die Förderung von Transmutationsverfahren ein. Dahinter steckt die Idee, eine Nukleartechnologie zu entwickeln, die den Atommüll in weniger schädliche Abfälle umwandelt - eine Illusion und der Traum vom Wiedereinstieg in die Atomenergie. Allein die zeitliche und finanzielle Dimension der noch zu leistenden Entwicklungsarbeit, würde jedoch eine tragfähige Lösung für das Atommüllproblem in unerreichbare Ferne rücken. Transmutation erfordert langwierige, riskante Bearbeitungsprozesse und einen sehr hohen Energieaufwand. Pro Jahr könnten in einer Anlage weniger als 0,3 Tonnen Atommüll behandelt werden.

Angesichts Hunderttausender Tonnen, die bearbeitet werden müssten, sind die Bestrebungen, auf diese Weise das Atommüllproblem zu lösen, ungefähr so realistisch, wie der Versuch aus Stroh Gold zu spinnen. Zumal nicht geklärt ist, wie im großen Stil eine für die Transmutation erforderliche Aufspaltung der Brennstoffe (Partitionierung) erfolgen soll. Die Partitionierung beinhaltet außerdem die Gefahr der Proliferation. Insbesondere abgetrenntes Plutonium könnte zum Bau von Kernwaffen missbraucht werden. Davon abgesehen könnten auch nicht alle Abfälle umgewandelt werden – ein Atommüll-Lager wäre also weiterhin nötig.

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