Türkei baut ein AKW im Erdbeben-Gebiet

09.02.2023 | Jan Becker
AKW im Erdbebengebiet (Symbolbild)
AKW im Erdbebengebiet (Symbolbild)

Von dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien am Montag ist auch das einzige in Bau befindliche Atomkraftwerk der Türkei betroffen. Kritiker*innen fordern nun eine genaue Überprüfung.

Ein Atomkraftwerk in einem Erdbebengebiet lässt unweigerlich Erinnerungen an die Katastrophe von Fukushima erwachen. Nur 600 Kilometer entfernt vom Epizentrum des Bebens am Montag entsteht das AKW Akkuyu, das im Endausbau vier Reaktoren umfassen soll. Laut dem russischen Hersteller Rosatom soll das Kraftwerk Erschütterungen bis zu einer Stärke von 6,5 auf der Richterskala standhalten können.

Das Atomkraftwerk Akkuyu liegt in der Nähe einer geologischen Bruchzone, der ostanatolischen Verwerfung. Die Region gilt als gefährdet, weil die kleine Anatolische Platte fast wie ein Keil zwischen der aus Süden drückenden Arabischen und der im Norden liegenden Eurasischen Platte eingeklemmt ist.

Wenn einzelne Nachbeben laut Medienberichten eine Stärke von 7,6 hatten, müsse das Hauptbeben am Montag eine Stärke von über 8 auf der Richterskala gehabt haben, warnt Manfred Doppler vom Anti-Atom-Komitee Österreich. Die Türkei müsse nun eine genaue Überprüfung des Baus durch eine Expertenkommission einleiten. Auch wird Kritik laut, dass weder die türkische Regierung noch Rosatom die Erdbebengefahr gründlich genug untersucht habe.

Projekt hat mit Energiepolitik nichts zu tun

Gebaut und betrieben wird das AKW vom russischen Staatskonzern Rosatom, auch das Personal wird in Russland ausgebildet. Nach seiner Fertigstellung soll das Kraftwerk zehn Prozent des Strombedarfs der Türkei erzeugen, das Land hat zudem vertraglich zugesichert, den Strom zu einem Festpreis abzunehmen. Doch die Türkei erzeugt bereits mehr Strom, als sie benötigt. Es handle sich daher um ein „Prestigeprojekt“, welches mit Energiepolitik nichts zu tun habe, erläutert Energieexperte Mycle Schneider im „Spiegel“. „Das ist ein geopolitisches Projekt, das zwei Staatschefs vereinbart haben. Es gibt nichts, das zwei Länder länger aneinanderbindet, als ein Atomkraftwerk“, so Schneider.

Endlich EU-Sanktionen im Atomsektor?

Einen Lichtblick gibt es möglicherweise im Umgang mit den russischen Atomgeschäften in der EU, wo derzeit das zehnte Sanktionspaket gegen Russland vorbereitet wird. Darin könnte es diesmal explizit auch um Strafmaßnahmen gegen die mächtige Atomindustrie des Landes gehen. Das wäre ein Fortschritt, auch wenn der Vorstoß viel zu spät kommt. Schon im letzten Frühjahr wurde als Ziel formuliert, „die Zusammenarbeit mit russischen Unternehmen bei bestehenden und neuen Nuklearprojekten zu beenden“.

Kritik an Siemens Energy

Im Zusammenhang mit der Hauptversammlung des deutschen Unternehmens Siemens haben Atomkraftgegner*innen auf weiterlaufende Geschäfte mit Russland hingewiesen: urgewald, Friends of the Earth Europe, der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre sowie die russische Umwelt-NGO Ecodefense beklagen, dass Siemens gemeinsam mit dem Konsortiumspartner Framatome sogenannte Instrumentation-&-Control-(I&C)-Systeme für die russischen Reaktoren liefere. Noch am 2. Dezember 2021, als sich die Invasion in die Ukraine bereits abzeichnete, hätten Framatome und ROSATOM erneut ein strategisches Kooperationsabkommen unterzeichnet. In diesem werde explizit der Bereich der I&C-Systeme genannt, der im Zuständigkeitsbereich von Siemens Energy liegt. Diese technisch hochkomplexen Systeme bilden die Schaltzentrale eines Reaktors.

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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