Mochovce: „Verschrotten ist die beste Option“

20.05.2021 | Jan Becker
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Foto: Szeder László / wikimedia / CC 3.0

Mitten in Europa soll ein Atomkraftwerk den Betrieb aufnehmen dürfen, das technisch völlig veraltet ist und wo sich schon während der Bauphase eine Reihe von Skandalen ereignet haben. Atomkraftgegner*innen gehen gegen diese „verpfuschte Höllenmaschine“ gerichtlich vor.

Am 13. Mai hat die staatliche Atomaufsichtsbehörde der Slowakei die Genehmigung für die Inbetriebnahme von Mochovce-3 erteilt. Während Behörde und Betreiber auf „eine Reihe sicherheitstechnischer Inspektionen und integraler Tests aller Systeme“ sowie einer „weltweit anerkannten Bewertung der Nuklearindustrie“ verweisen, warnen Kritiker*innen vor einer „Gefährdung Mitteleuropas“. Seit mehr als einem Jahrzehnt macht die österreichische Organisation „Global 2000“ schon auf massive Probleme in dem Reaktor vom sowjetischen Typen WWER 440/213 aufmerksam. Bauartbedingt fehlt bei diesem Design aus den 70er Jahren ein „Containment“, die international übliche Beton-Schutzhülle um den Reaktorkern. Bei allen aktuellen AKW-Neubauprojekten ist dieses Manko weltweit einzigartig. In Deutschland wäre der Bau schon genehmigungstechnisch undenkbar, vergleichbare Kraftwerke in Greifswald wurden nach der Wiedervereinigung umgehend stillgelegt. Das Containment soll bei einem schweren Störfall die Umgebung vor radioaktiver Kontaminierung schützen. Ohne diese Hülle gibt es auch keinerlei Schutz gegen Flugzeugabstürze oder andere terroristische Angriffe – und das, obwohl der Standort Mochovce unter einem viel beflogenen Flugkorridor liegt.

„Im besten Fall muss der Reaktor auf den Stand der heutigen Technik gegen Flugzeugabsturz nachgerüstet werden“,fordert Reinhard Uhrig von Global 2000. Eine Nachrüstung dieser alten Reaktortypen sei  aber „technisch schwierig bis finanziell unmöglich“, er rät deshalb: „Verschrotten ist die beste Option“.

Mit dem Bau von Reaktorblock 3 wurde 1987 – also vor 34 Jahren – begonnen. Die Inbetriebnahme war ursprünglich für 2012 vorgesehen. In direkter Nachbarschaft entsteht ein baugleicher Block 4, der 2013 ans Netz gehen sollte. Wie bei allen AKW-Projekten sind die Baukosten von angenommenen drei Milliarden Euro auf knapp sieben Milliarden explodiert.

Schon während der Bauphase haben Kritiker*innen massive Mängel dokumentiert und – teilweise dank Whistleblower – Skandale aufdecken können. Laut Global 2000 herrschen auf den Baustelle „chaotischen Arbeitsbedingungen“. Es gibt schwere Korruptionsvorwürfe gegen den Betreiber, die Ermittlungen laufen. Der Vorwurf von gefälschten Zertifikaten für den Block 3 konnte bislang nicht ausreichend entkräftet werden. In den letzten Jahren seien in Zusammenarbeit mit ehemaligen und aktiven Ingenieuren „eine Vielzahl von technischen Problemen sowie Missmanagement“ aufgedeckt worden.

„Es war einfach ein Chaos, Lieferanten lieferten minderwertige und nicht zertifizierte Produkte, die Aufsicht führte einige Inspektionen eher auf dem Papier als wirklich durch.“ (Vladimír Pčolinský, früherer Geheimdienst-Chef der Slowakei im November 2020)

Dokumentiert wurden zudem Tausende „unkontrollierte Bohrungen mit bis zu 10 cm Durchmesser und ein Meter Tiefe in den Wänden der hermetischen Kammern des Reaktors“, so Uhrig in einem Gespräch mit telepolis. Ein Video auf twitter belege den schlechten Zustand der Notstrom-Dieselgeneratoren: Der Versuch der Inbetriebnahme einer der über 30 Jahre alten Maschinen endete in einer Explosion.

Inbetriebnahme dieser verpfuschten Höllenmaschine stoppen!

Bislang ist die Betriebsbewilligung nicht rechtskräftig, 14 Tage lang kann dagegen Einspruch einlegt werden. GLOBAL 2000 hat angekündigt, mit seinen österreichischen und internationalen Unterstützer*innen alle Rechtsmittel einzulegen, „um die Inbetriebnahme dieser verpfuschten Höllenmaschine und damit den möglichen nächsten Super-GAU in Europa zu stoppen.“

„Mochovce 3 wäre bei Inbetriebnahme eine tickende Zeitbombe – bekannte und noch nicht entdeckte Sicherheitsprobleme der endlosen Pfusch- und Korruptions-Baustelle machen ein Hochfahren des Reaktors absolut unverantwortlich“, warnt Uhrig. „AKW-Betriebsgenehmigungen sind in der Slowakei seit 2014 zeitlich unbefristet – der Reaktor könnte bis 2081 betrieben werden, fast hundert Jahre nach Baubeginn.“

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Quellen (Auszug): global2000.at, telepolis, wikipedia.org

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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