Feier Gorleben 2020
Foto: Kina Becker

Gorleben – Salzstock voller Macken

43 Jahre, sieben Monate und sechs Tage nachdem der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) am 22. Februar 1977 Gorleben als Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ benannt hat, ist die Auseinandersetzung um den Salzstock im Wendland entschieden. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat am 28. September 2020 in ihrem „Zwischenbericht Teilgebiete“ Gorleben von der weiteren Suche ausgeschlossen.

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Jahrzehntelang wurde offiziell "erkundet", ob sich Gorleben als dauerhafter Lagerungsort eignet. Tatsächlich wurde bei den Arbeiten bereits alles auf eine zukünftige Einlagerung von Atommüll vorbereitet – obwohl Wissenschaftler*innen mahnen, dass der Salzstock nicht geeignet ist, um die radioaktiven Abfälle für Jahrtausende sicher zu lagern.

Seit den 1990er-Jahren war Gorleben dennoch das Ziel sogenannter Castor-Transporte mit hochradioaktivem Atommüll aus Atomkraftwerken und aus Plutonium-Fabriken. Diese Abfälle lagern nun in einer oberirdischen Halle, einem Zwischenlager, nur wenige Hundert Meter vom Eingang des Salzstocks entfernt.

Flyer: Gorleben - Trügerische Ruhe

Es ist nicht vobei - der Salzstock bleibt im Spiel bei der "Endlager"-Suche...

Ein Überblick zur Geschichte und der Situation heute.

Din lang, achtseitig

.ausgestrahlt-Magazin Nr. 34 (download)

Aus dem Inhalt:

  • 40 Jahre Gorleben und keine Ende

  • Wer B sagt, muss auch C sagen: beide Reaktorblöcke des AKW Gundremmingen gehören 2017 abgeschaltet

  • Castor-Alarm auf dem Neckar

  • Ausstieg aus den Kosten: Der Atom-Finanz-Deal

 

 

"Mein Gorleben-Moment"

Mein Gorleben-Moment

43 Jahre nach der ersten Standortbenennung ist das geplante Atommülllager im Gorlebener Salzstock vom Tisch. Die Auseinandersetzung führte Zehntausende Atomkraftgegner*innen ins Wendland – und bei vielen zu Erlebnissen, die bis heute prägen. Eine Auswahl

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Fremde Freunde. "Hüttendorf auf Bohrstelle 1004. Wir kommen mit dem VW-Bulli und helfen ein wenig, an einem Holzhaus zu bauen. Eine einmalige Situation, voll „fremder Freunde“: Wir kennen uns alle nicht, verstehen uns aber sofort, jede/r nach ihrer/seiner Einstellung zum Leben. Wenn die Nacht kommt, wird es mystisch im Dorf. Unvorstellbar. Wir wissen aus dieser gewaltigen inneren Kraft heraus: Diesen Kampf werden wir gewinnen." Jörg Grützmann

Zwei VW-Bullis im Gorleben-Widerstand
Foto: Jörg Gützmann
VW-Bulli am Hüttendorf Gorleben

Zaunabbau. "Pfingsten 1982, meine erste Nacht-und-Nebel-Aktion im Wald: Ich bin erstaunt, wie leicht sich mit 30 Leuten der Zaun an der Tiefbohrstelle demontieren lässt. Wir sind schon recht weit gekommen, als ein Bulli vom Wachdienst kommt, den wir mit morschen Kiefernstämmchen an der Weiterfahrt hindern. So können wir unerkannt nach Hause fahren. Und ich komme immer gern wieder …" Liv Teichmann

 

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Referate. "Als Physiklehrer veranlasst mich der Gorleben-Konflikt Ende der 1970er Jahre, meine 10. Realschulklasse mit Referaten zum Thema Energie zu beauftragen. Um die sachliche Richtigkeit beurteilen zu können, muss ich mich natürlich selbst in die Materie vertiefen. Dabei stoße ich, wie meine Schüler, auch auf atomkraftkritische Literatur. Am Ende ist die gesamte Klasse einschließlich mir der Überzeugung, dass es nicht zu verantworten ist, auf Atomenergie zu setzen." Jürgen Faber

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Spielzeugtrecker. "Eine große Treckerdemo ist in der Nähe des Verladekrans angemeldet. Ein riesen Polizeiaufgebot bewacht die Gleise. Zur angekündigten Zeit kommen circa 20 kleine Kinder mit ihren Spielzeugtraktoren angefahren …" Irmgard Born

 

Schienenspaziergang in Gorleben 2010
Foto: PubliXviewinG / Andreas Conradt
Schienenspaziergang im Wendland, 2010

Kinderfragen. "Für die Kinder ist die Demo in Gorleben 2002 wie Fasching: Bauern werfen Anti-Atom-Bonbons und Luftballons von ihren Treckern, es herrscht Sonnenschein und gute Laune, Sambagruppen spielen. Als wir das Zwischenlager erreichen, säumen lange Reihen von Uniformierten unseren Weg. Der Freund meines Sohnes ist absoluter Polizistenfan. Mit unermüdlichem Eifer sagte jedem freundlich „Guten Tag“ und will jedem die Hand geben, was aber auf wenig Gegenliebe stößt; nur ein paar bringt er zum Lächeln. „Die sind hier aber nicht sehr nett, die Polizisten“, sagt er nach einer Weile: „Vor wem beschützen die uns denn?“ Anja Kraus

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No Pasaran. "Wieder geht’s nicht weiter, kurz vor Gedelitz stehen Traktoren quer auf der Landstraße. Zwischen ihnen und dem ersten Fahrzeug einer Polizeikolonne von etwa 30 Mannschaftswagen sitzen zwei ältere Herren mitten auf der Fahrbahn. Links und rechts neben der weißen Linie haben sie sich nebeneinander niedergelassen, der eine auf Stroh, der andere in seinem Rollstuhl, beide grimmige Würde im Gesicht. Auf die Räumungsaufforderung der Polizei hin rollen zwar die Traktoren zur Seite, nicht aber die beiden Männer. Langsam wird’s dunkel, der nächste Novemberabend tropft ins Wendland. Und dann, nach langen Minuten grimmigen Ausharrens hier und stiller Unentschlossenheit dort, macht das erste grüne Fahrzeug einen mühsamen Wendeversuch, das nächste ebenfalls, das dritte, die gesamte Kolonne macht kehrt. Ihre roten Rücklichter und das blaue Geblitze verlieren sich irgendwann zwischen den Giebeln der Bauernhöfe. Johlender Beifall von 200 Menschen. No Pasaran! Sie sind wirklich nicht durchgekommen. Hier jedenfalls nicht. Heute noch nicht." Götz Rubisch

Treckerumzug in Gorleben
Foto: PubliXViewinG
Großdemo in Dannenberg 2011

Peace Team. "Irgendwann nach der großen Sitzblockade vor dem Verladekran im März 1997 lese ich den gut 40-seitigen Bericht des „Gorleben International Peace Team“: Leute aus Ecuador, Mazedonien, Nigeria und den USA, die eigens zur Beobachtung der Menschenrechtslage beim Castor-Transport gekommen waren. Eine heilsame Umkehrung der Perspektive der „westlichen Welt“. Stephan Pickl

 

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Viel Kraft. "Schlafsäcke zur Blockade bringen – den Auftrag übernehme ich gerne. Und ganz schnell bin ich selbst „mittendrin“. Wie selbstverständlich nehmen mich Helmreich, Erika, Johannes und Martina mit in ihre Gruppe. Zusammen bauen wir uns ein „Lager“. Noch nie habe ich im November draußen genächtigt und schon gar nicht auf der Straße. Aber es ist klar, dass ich bleibe. Am Mittag die Räumungsaufforderung der Polizei, wir setzen uns. Zwei Leute klettern auf Laternenmasten und enthüllen ein Transparent: „Gegen unsere Lebendigkeit seid ihr machtlos!“ Am Ende bin ich ausgebrannt und müde, aber nicht mit dem Gefühl einer Niederlage. Ich werde wiederkommen, ich habe gemerkt, wie viel Kraft entsteht, wenn Leute sich zusammenschließen gegen den atomaren Wahnsinn." Christoph Dembowski

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Gutes Gefühl. "2. April 2011: Nach Fukushima und Großdemos liegen acht AKW vorläufig still. Wir machen uns auf nach Gorleben, um den Druck auf die Politik hochzuhalten. Die Hoffnung ist überall zu spüren, dass auch Gorleben endlich kippen könnte. Strotzend vor Selbstbewusstsein, die verhasste Atomwirtschaft und ihre politischen Handlanger am Ende doch in die Knie zwingen zu können, klettere ich auf einen Trecker am Wegesrand und schwenke stolz die Anti-Atom-Sonne im Frühlingswind. Ein gutes Gefühl, mein Gorleben Gefühl!" Jan Precht

Anti-Atom-Fahne im Frühlingswind
Foto: Jan Precht
April 2011 - Jan Precht winkt mit der Fahne

Hale-Bopp und große Bärin. "Wir liegen in unseren Schlaftüten auf Strohsäcken und schauen in den Himmel. Trotz des scheußlichen Anlasses ist die Nacht traumhaft schön. Den tollsten Anblick bietet der Komet Hale-Bopp mit seinem gleißenden Schweif, 1997 erleuchtet er unseren Zivilen Ungehorsam auf der Castor-Route. Neben mir liegt Tom, ein Astronomie-Student. Von ihm lerne ich in dieser Nacht, dass der „Große Bär“ am Firmament eigentlich eine Bärin ist, Ursa Major. Sie war zu Lebzeiten die Nymphe Kallisto, Götter-Chef Zeus hatte sie geschwängert, und seine eifersüchtige Ehefrau Hera verwandelte sie in eine Bärin, die Zeus dann zum Gestirn machte. Immer wenn ich das Sternbild sehe, erinnere ich mich an diese Gorleben-Nacht." Ariane Dettloff

 

 

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Unterschlupf. "Mit vielen anderen DemonstrantInnen stehe ich nicht weit vom Tor des Zwischenlagers am Waldrand. Die Zufahrtstraße ist von Polizisten flankiert. Als die ersten Castoren in Sicht kommen, schießen Wasserwerfer in Richtung Wald. „Ihre Kollegen werden sie wohl kaum beschießen“, denke ich und rücke auf die Polizeikette vor. Plötzlich entdeckt mich ein Polizist, winkt mich heran, weist auf einen Platz hinter sich und sagt: „Hier sind Sie sicher.“ Regina Schulze

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Suppe ohne Grenzen. Am Ortseingang von Gorleben versperrt 2011 eine Polizeikette den Zugang zur Blockade von „X-tausendmal quer“, aber eine kleine, alte Dame will dort durch.Auf einem Bollerwagen zieht sie einen großen Suppentopf hinter sich her. Sie trifft auf Polizisten, die sie um zwei Köpfe überragen und ihr den Weg versperren. Beherzt schiebt sie sich an den Beamten vorbei, schaut sie streng an und sagt: „Jungchen, das traut ihr euch nicht!“ Recht hatte sie! Vera Graap

Gorleben-Aktion Lebenslaute 2009
Foto: Lebenslaute
Gorleben-Aktion Lebenslaute 2009

Lebenslaute. "Ein heiterer Samstagmorgen im Sommer 2009: Etwa 50 Musiker übersteigen mit Hilfe einer selbstgebauten Treppe die vier Meter hohe Mauer zum Bergwerksgelände, in Konzertkleidung, mit Instrumenten, Hockern, Notenständern. Auf der anderen Seite nutzen wir eine für Wasserwerfer gebaute Rampe. Als ich nach dem ersten Chorstück aufblicke, sind wir von Polizei umstellt, die habe ich überhaupt nicht kommen sehen. Sie hindert uns aber nicht, unser Konzert zu Ende zu bringen." Gerd Büntzly

 

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Hexenschuss. "Gorleben 2010. Wegen der Laufzeitverlängerung für die AKW sitze ich mit meinen 53 Jahren im nasskalten Herbst auf der Straße – tagelang, denn die Castoren kommen nicht sonderlich gut voran. Dialog mit „meinen“ beiden Polizisten bei der Räumung: „Moin! Ich steh’ kurz vorm Hexenschuss und kann mich nicht wegtragen lassen.“ – „Oh! Kommen Sie denn hoch?“ – „Wird schon gehen …“ Beide helfen mir behutsam hoch und reichen mir meine restlichen Sachen. „Alles ok? Gut, ich fordere Sie auf, diese Demonstration freiwillig zu verlassen.“ – „Auf keinen Fall gehe ich freiwillig!“ – „Dann müssen wir Sie jetzt abführen!“ Die Polizisten haken mich vorsichtig unter und führen mich von der Straße, nicht ohne mich auf Stolperfallen aufmerksam zu machen. Dafür bedanke ich mich selbstverständlich. „Ich bedanke mich bei Ihnen, dass Sie das hier für die Zukunft unserer Kinder auf sich genommen haben“, sagt der Polizist mit festem Händedruck. Auch sein Kollege zieht seinen Handschuh aus und reicht die Hand." André Podszus

Gorleben-Demonstrantin an Schienen
Foto: PubliXviewinG / Andreas Conradt
Gorleben Demonstrantin

40 Jahre."Auch ich werde dieses Jahr 40 Jahre alt und war schon mehrfach dienstlich als Polizeibeamter in und um Gorleben im Einsatz. Nichtsdestotrotz stand ich den AKWs samt ihrer strahlenden Hinterlassenschaft konträr gegenüber. Am 6. November 2010 nahm ich als Bürger protestierend an der Anti-Atom-Demo in Dannenberg teil. Ich kann nur hoffen, dass es nicht weitere 40 Jahre dauert, bis das letzte AKW keinen Giftmüll mehr verursacht." (Name der Redaktion bekannt)

 

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Anarchie. "Es war natürlich Rechtsbruch, den Garten unserer Hoffungen dort anzulegen, wo das Atomklo der BRD hin soll. Die zarte Pflanze wird abgeschnitten, zertreten. Doch ich pflanze sie in meine Erinnerung und lese es in euren Gesichtern: Ihr habt sie auch. Wir waren dort. Keiner kriegt uns fort aus dem Dorf, in dem unsere Träume Wurzeln geschlagen haben. Nachdem sie das erste Dorf der „Republik Freies Wendland“ niedergemacht haben, werden unzählige entstehen. Sie werden entstehen auf sandigem Boden und aus Holz, sie werden entstehen zwischen Feldern aus Stein, oder sie stehen schon, ohne es zu wissen. Sie werden aus der Idee der „Träumer und Pfadfinder“ von 1004 (Innenminister Möcklinghof) eine Realität machen. Dieter Halbach (geschrieben 1980 nach der Räumung des Hüttendorfs)"

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Kranichzug. "Castor 2010, „X-tausendmal quer“: Als ich morgens die Augen aufschlage, wird es gerade hell. Und genau in der Himmelsschneise über mir, zwischen den Kieferwäldern rechts und links der Straße, fliegt ein Kranichzug! Die Rufe der Vögel haben mich geweckt. Dieses Glücksgefühl hält bis heute an! Und egal wie anstrengend und kalt zum Teil die 44 Stunden waren: zur Verhinderung eines Atommülllagers im Salzstock Gorleben werde ich es immer wieder tun – auch mit einem Lächeln, weil ich mich an den besonderen Moment erinnere." Claudia von Wachtendonck

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Noch nie. "Ich war noch nie in Gorleben. Aber mir gefällt der Baum so sehr und das „Gorleben soll leben“ und ich danke allen, dass er zu mir kam – mein Herz zu beflügeln, den Mut und die Aktionen zu bewundern." Bärbel

 

Ungekürzte und weitere Beiträge findet Ihr hier:

Ausstellung

Plakate: Gorleben Ausstellung (4 Stück, A1)

Seit 40 Jahren wehren sich Atomkraftgegner*innen gegen das geplante Atommüll-"Endlager" im niedersächsischen Gorleben. Was aber hat es mit dem maroden Salzstock im Wendland auf sich? Die überarbeitete und erweiterte .ausgestrahlt-Ausstellung "Gorleben soll leben" offenbart kurzweilig und informativ auf vier Plakaten Hintergründe, Fakten und Fotos zur Geschichte eines Konflikts, der bis heute andauert.

1. "Ein Salzstock voller Macken" - zur Geologie des Salzstocks und den Gefahren, die eine Atommüll-Lagerung dort birgt.

2. "Tricksen, täuschen & betrügen" - zu den Tricks und Lügen, mit denen Gorleben politisch durchgesetzt werden soll.

3. "Unendlicher Widerstand" - zur Vielfalt des Widerstands, mit dem sich Atomkraftgegner*innen seit den 1970er Jahren gegen die Atommüll-Pläne im Wendland wehren.

4. "Trügerische Ruhe" - zur aktuellen Situation vor Ort und dem Fortgang in der Diskussion um einen geeigneten Atommüll-Standort.

Ob in Schulen, Gemeindehäusern, Kulturzentren, Büchereien, Arztpraxen - die vierteilige Plakatserie eignet sich für alle Räume mit Publikumsverkehr, aber auch für Infostände. Du kannst die Plakate "im Paket" oder hier auch einzeln bestellen.

Diese Ausstellung kostet in der Herstellung pro Satz ca. 12 Euro. Wir freuen uns, wenn Du unsere Arbeit mit einer Spende unterstützt!

 

Chronik

Die Gorleben-Chronik

Ein Blick zurück. Und einer nach vorne...
 

22. Februar 1977: Der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht (CDU) bestimmt Gorleben zum Standort des geplanten „Nuklearen Entsorgungszentrums“.

12. März 1977: Erste Demo mit 16.000 Menschen auf der für den Atomkomplex vorgesehenen Waldbrandfläche.

25. – 31. März 1979: Der „Treck nach Hannover“ schwillt dort zur Großdemo mit 100.000 Menschen an. Albrecht erklärt die Plutonium-Fabrik („Wiederaufarbeitungsanlage“, WAA) in Gorleben für politisch nicht durchsetzbar. Am Atommülllager hält er fest.

 

Die Republik Freies Wendland wird ausgerufen
Foto: Günter Zint
Wendland Hüttendorf 1980

 

3. Mai – 4. Juni 1980: 5.000 Menschen besetzen das Gelände der Tiefbohrstelle 1004, mit der der Salzstock erkundet werden soll, und rufen die „Republik Freies Wendland“ aus. Nach 33 Tagen planiert die Polizei das Dorf mit Bulldozern.

1. November 1982: Die in Gorleben nicht durchsetzbare Plutoniumfabrik soll im 30 Kilometer weiter westlich gelegenen Dragahn entstehen.

4. September 1982: Als Reaktion auf den Baubeginn der Zwischenlager-Hallen in Gorleben kommen 10.000 Menschen zum „Tanz auf dem Vulkan“.

5. September 1983: Erste Genehmigung zur Einlagerung hochradioaktiven Atommülls im Zwischenlager Gorleben.

8. Oktober 1984: Erste Anlieferung von schwachradioaktivem Müll in das Fasslager Gorleben. Blockaden halten den Transport immer wieder auf.

4. Februar 1985: Das Projekt WAA Dragahn wird nach Protesten aufgegeben.

 

Republik Freies Wendland

 

1990: Baubeginn für die Pilot-Konditionierungs-Anlage (PKA) zum Umpacken von hochradioaktivem Atommüll.

25. April 1995: Erster Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben. 15.000 PolizistInnen, Wasserwerfer und Schlagstöcke bahnen ihm den Weg.

3. – 5. März 1997: Bei der größten Sitzblockade in der Geschichte der Bundesrepublik setzen sich 9.000 Menschen dem Castor gewaltfrei in die Quere.

18. Dezember 2000: Betriebsgenehmigung für die PKA, vorerst jedoch nur zur Reparatur schadhafter Castor-Behälter

29. August 2009: In Gorleben startet der Treck nach Berlin. Bei der Anti-Atom-Demo dort sind 40.000 Menschen und 400 Traktoren unterwegs.

6. November 2010: 50.000 Menschen protestieren in Dannenberg auf der bisher größten Demo im Landkreis gegen Atomkraft und das geplante geologische Tiefenlager in Gorleben.

11. November 2011: Bundesumweltminister Röttgen (CDU) verkündet einen angeblichen „Neustart“ bei der Suche nach einem Atommüll-Lagerplatz.

23. – 28. November 2011: Der 13. und letzte Castor-Transport nach Gorleben braucht wegen zahlreicher Widerstandsaktionen mehr als 5 Tage.

 

Atomkraftgegener*innen in Berlin
Foto: Kina Becker

 

5. Juli 2016: Die Atommüll-Kommission empfiehlt Suchkriterien, die so vage sind, dass selbst der marode Salzstock in Gorleben damit weiter als Atommülllager in Frage kommt. Bauern und Bäuer*innen aus dem Wendland protestieren mit ihren Treckern in Berlin.

1. Januar 2019: Castor-Halle und PKA gehen an den Staat über; der zahlt sogar dafür.

1. Januar 2020: Das Fasslager geht (ebenfalls gegen Geld) an den Staat über.

28. September 2020: Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) schließt in ihrem „Zwischenbericht Teilgebiete“ den Salzstock Gorleben von der weiteren Suche nach einem Atommüll-Endlager aus.

2034: Die Genehmigung der Castor-Halle läuft aus.

2046 (bestenfalls) bis 2068 (möglicherweise): Entscheidung über einen Standort für ein Atommüll-Lager in Deutschland.

????: Inbetriebnahme eines geologischen Tiefenlagers für hochradioaktiven Müll – jedenfalls laut Gesetz.

ca. 1000000: Strahlung des Atommülls ist auf das Niveau von natürlichem Uran abgeklungen.

9 Gründe

Neun Gründe gegen ein Atommülllager in Gorleben

Wie der Salzstock in Gorleben geologisch aufgebaut ist und warum er als Atommüll-Lager nicht taugt.

  • 1977 bestimmte der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht Gorleben zum Standort eines „Nuklearen Entsorgungszentrums“. Die Wiederaufarbeitungsanlage scheiterte, gebaut wurden oberirdische Zwischenlager (z.B. für die Castor-Behälter), die „Pilotkonditionierungsanlage“ zum endlagergerechten Verpacken von Atommüll sowie das „Erkundungsbergwerk“.

    Förderturm am Erkundungsbergwerk Gorleben
    Foto: Daniel Rosenthal
  • International ist die Eignung von Salz als Endlager höchst umstritten: Das plastische Gestein (1) drückt die Lagerkammern zusammen, so dass die Behälter platzen, (2) steigt durch den Druck stetig nach oben, (3) ist extrem wasserlöslich und (4) zersetzt sich durch radioaktive Strahlung.

  • Der in den 1970ern mit der Endlagersuche beauftragte Geologe Prof. Dr. Gerd Lüttig berichtete, warum Albrechts Wahl auf den Salzstock Gorleben fiel, der aus fachlicher Sicht nur „dritte Wahl“ war: aus Rache für das grenznahe DDR-Endlager Morsleben, das auch Niedersachsen zu verseuchen drohte – Motto: „Jetzt werden wir‘s denen mal zeigen!“

  • Die Tonschicht über dem Gorlebener Salzstock durchschneidet ein mindestens 300 Meter tiefer, mit Geröll gefüllter eiszeitlicher Graben. Durch diesen fließt Grundwasser, das den Salzstock ständig ablaugt – jedes Jahr bis zu 12.000 Kubikmeter Salz. „Die zuständigen Fachleute waren entsetzt, als Albrecht sich auf Gorleben festlegte“, bekannte unlängst der Hydrogeologe Prof. Dr. Dieter Ortlam. Der Geologe Prof. Dr. Klaus Duphorn etwa warnte 1982 vor „Bruchstörungen [...] sowohl im Salzstock als auch im Deckgebirge“, die „als Wanderwege für Wasser und Lauge dienen können“. Radioaktive Stoffe könnten so ins Grundwasser gelangen. Die Behörden reagierten mit Druck: Duphorn solle sein negatives Votum revidieren.

    Salzstock Gorleben
    Foto: Daniel Rosenthal
  • Unter dem Salzstock Gorleben liegt ein großes Erdgasvorkommen. Über Spalten im Gestein könnte das Gas bis ins geplante Endlager aufsteigen. Im benachbarten Lenzen kam es schon 1969 nach einem Gasausbruch zur Explosion.

  • Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) verfasste 1983, nach Auswertung von Tiefbohrungen, einen Zwischenbericht über Gorleben. Die Abdeckung des Salzstocks sei nicht in der Lage, „Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre zurückzuhalten“, radioaktive Stoffe könnten bereits nach „600 beziehungsweise 1.100 Jahren“ ins Grundwasser gelangen, heißt es in der Urfassung. Selbst im Innern des Salzstocks fänden sich große Schichten Anhydrit, durch die Wasser in den Salzstock laufen könnte. Dann intervenierte die Bundesregierung: Die Zusammenfassung solle die „berechtigte Hoffnung“ betonen, „dass im Salzstock Gorleben ein Endlager für alle Arten von radioaktiven Abfällen“ eingerichtet werden könne. Die Warnung, dass Wasser und Lauge eindringen könnten, bittet sie „etwas weiter vom Zentrum der Betrachtung wegzurücken“. Die PTB gehorchte.

    Salzstock Gorleben
    Foto: Daniel Rosenthal
  • Hochrangige Beamte diskutierten 1980, wie man ein atomrechtliches Verfahren für den „Endlagerbau“ vermeiden könne. Ihre Idee: Den Salzstock offiziell nur zu „erkunden“ – dafür reicht Bergrecht. Das „Erkundungsbergwerk“ bekam allerdings endlagertaugliche Schächte mit 7,5 statt vier Metern Durchmesser. Die Kosten stiegen dadurch um bis zu 800 Millionen Euro.

  • Jahrzehntelang galt das „Versuchsendlager“ Asse II offiziell als „Pilotprojekt“ für das geplante Endlager Gorleben. Dieselben Gutachter, die für Gorleben plädierten, attestierten auch der Asse Sicherheit für Jahrtausende. Erst seit die Zustände dort – Wassereinbruch, Einsturzgefahr, kontaminierte Lauge – öffentlich sind, wollen die Endlager-Fans von der „Pilotfunktion“ nichts mehr wissen.

    Salzstock Gorleben
    Foto: Daniel Rosenthal
  • Um das Scheitern ihres Atomprojekts in Gorleben zu verhindern, weicht die Regierung die Sicherheitskriterien auf: mehreren Barrieren (z.B. Salz und Ton) sind nun nicht mehr erforderlich. Und als „sicher“ gilt ein Endlager auch dann noch, wenn – eine Million Jahre lang – jeder tausendste Anwohner einen schwerwiegenden Gesundheitsschaden dadurch erleidet. Heißt: Eine Atommüllkippe muss gar nicht dicht sein.

Ausstellung "Gorleben soll leben" Auszüge aus #1: "Salzstock voller Macken"
#2: "Tricksen, täuschen und betrügen"
#4 "Trügerische Ruhe"

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